Kungsleden Etappe Eins: Kiruna – Abisko – Abiskojaure

Auf 105 Kilomentern durch den hohen Norden. Der Kungsleden gilt als einer der schönsten Weitwanderwege der Welt. Der nördliche Teil beginnt und endet in Schwedisch-Lappland und ist Teil des insgesamt 440 km langen Königsweges.

Auf meiner bucket list steht die Wanderung schon seit Jahren. Nun ist es endlich so weit. Kommt mit ins Abenteuer unter der schwedischen Mitternachtssonne!

Ankunft in Abisko

Nach einigen Strapazen und mit Frust im Gepäck komme ich gegen 18:00 endlich mit dem Zug in Abisko an. Es ist ein richtig heißer Tag und meine Laune hat in den vorigen Stunden gelitten.

Zuerst bekomme ich von einem Busfahrer am Zubringer-Busbahnhof in Kiruna eine süffisante Antwort, als ich mich nach dem richtigen Shuttle zur Zugstation erkundige. Dann fährt besagter Zug mit einer halben Stunde Verzögerung und kaputter Klimaanlage los. Am Gleis herrscht Verwirrung, da sich die Abfahrtzeiten an den Anzeigetafeln ständig ändern. Ein besonderer Spaß: Mitunter flackern plötzlich auch frühere (!) Abfahrtzeiten über die Bildschirme und verschwinden dann genauso schnell wieder.

Im Zug ist mein reservierter Sitzplatz nass und ich will nicht wissen warum. Neben mir sitzt ein seltsamer Mann, der Chips isst, Cola trinkt und die ganze Fahrt über lautstark telefoniert. Auf dem Weg sammelt der Zug noch einmal eine halbe Stunde Verspätung ein, da entgegenkommende Transporte mit Eisenerz aus der benachbarten Mine Vorrang bekommen.

STF Flagge

Die schöne Aussicht auf die grüne Seenlandschaft und das schwedische Fjäll stimmen mich allerdings milde. Als ich bei meiner Ankunft sehe, wie heimelig die Hütte des STF (Svenska Turistföreningen) ist und einen netten Smalltalk mit meinen Zimmergenossinnen führe, verfliegen alle negativen Gefühle. Ich fühle mich angekommen. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Mit mir teilen sich das 6er-Zimmer ein Mädchen aus Köln und eine Italienerin. Beide ebenfalls alleinwandernde Frauen. Eine hat den Kungsleden mit Start in Nikkaluokta bereits hinter sich und ihre Erzählungen geben mir Zuversicht, dass auch ich es schaffen kann.

Good to know: Als Mitglied im schwedischen Wanderverein STF zahlt ihr für alle Übernachtungen in den zugehörigen Hütten entlang des Kungsleden deutlich weniger. Die 345 Kronen (ca. 30 Euro) für eine Jahresmitgliedschaft holt ihr damit locker wieder herein. Und sie läuft nach einem Jahr automatisch aus, sodass ihr euch nicht mit der Kündigung herumschlagen müsst.

Als STF-Mitglied erwarten euch immer wieder nette Annemlichkeiten: So kostete mich der Kaffee in der STF Station Kebnekaise beispielsweise nur die Hälfte. Und: ihr seid für die Dauer eurer Wanderung zwischen den STF Hütten unfallversichert. Sollte euch etwas zustoßen und ihr müsst mit dem Helikopter abtransportiert werden, so decken das viele Auslandskrankenversicherungen nicht. Eure STF Mitgliedschaft aber schon.

Zuletzt tut ihr noch etwas Gutes und finanziert die Instandhaltung der Infrastruktur auf dem wunderbaren Kungsleden. What’s not to like? Mehr Infos gibt es hier.

Start der Wanderung

Am nächsten Tag ist es endlich soweit: Meine 6-tägige Wanderung auf dem Nördlichen Kungsleden beginnt. Zuvor geniese ich das letzte ausgiebige Frühstück für die nächsten Tage: selbstgebackenes Vollkornbrot, weichgekochte Eier, Lachs, Porridge und Blaubeer-Pfannkuchen mit Schlagsahne. Garniert mit einem herrlichem Blick auf den Torneträsk-See. Für einen Aufpreis, kann man sich vom Buffet ein Lunch-Paket zusammenstellen und hat direkt eine weitere frische Mahlzeit für die Wanderung organisiert.

Es ist rund um die Uhr hell zu dieser Jahreszeit. Die Sonne lacht mich an, wenn ich ins Bett gehe und wenn ich aufstehe. Und leider auch, wenn ich zwischendurch aufwache. Meinen Schlafrythmus kann ich für die nächsten Tage vergessen. Dafür gibt mir die Mitternachtssonne ein Gefühl von Sicherheit beim Trecking. Vorerst aber starte ich mit einer erholsamen Mütze Schlaf im Gepäck und einem Magen voll guter Sachen bei strahlendem Sonnenschein ins Abenteuer. Ein hölzernes Tor markiert den Beginn des nördlichen Kungsleden in Abisko.

Schwere Last

Ich brauche für die erste Tages-Etappe nach Abiskojaure eine Stunde mehr als angegeben. Der schwere Rucksack mit all den Nahrungsmitteln und der Ausrüstung macht mir am ersten Tag extrem zu schaffen. Ich tu mich schwer, die Balance zu halten, vor allem auf den Holzplanken, die charakteristisch für den Kungsleden sind und sich in weiten Teilen über sumpfigen Untergrund ziehen.

An diesem Punkt habe ich ernsthafte Zweifel, ob ich diese Belastung tagelang aushalte. Ich gebe es nur äußerst ungern zu: Aber ich habe viel zu schwer gepackt und zu viel unnützes Zeug dabei. Ein klassischer Fehler von Trecking-Neulingen und definitiv etwas, das ich beim nächsten Mal besser weiß. Vorerst beiße ich mich durch und konzentriere mich darauf, meine Vorräte aufzubrauchen. Es ist tatsächlich so, wie alle sagen: Man spürt jedes Gramm und jeden Milliliter weniger. Zudem passt sich mein Körper auf magische Weise an. Er bildet in Windeseile die Rückenmuskeln aus, die hier gefordert sind. Von Tag zu Tag wird die Last leichter zu schultern, bis ich sie am Ende gar nicht mehr wahrnehme.

Funkloch

Eine weitere Ernüchterung: Der Mobilempfang ist nach der ersten halben Stunde auf dem Weg bereits verschwunden. Ich komme nicht einmal mehr dazu, meine Familie zu benachrichtigen, dass dies wahrscheinlich bald der Fall sein wird. Das bedeutet, dass sie mehrere quälende Tage im Ungewissen sein und sich riesige Sorgen machen werden.

Good to know: Meldet euch bereits in Abisko bei euren Liebsten ab. Erst wenn ihr euch der Kebnekaise Fjällstation annähert, kommt langsam wieder Empfang und ist von dort bis Nikkaluokta dann durchgehend vorhanden. Vorher kommt tagelang absolut kein SIgnal durch.

Das bedeutet auch, dass ihr keine Echtzeit-Navigation mit dem Handy durchführen könnt, um eure Wege zu finden. Hierzu habe ich folgende Tipps:

  • Ich habe mir die GPX-Daten der Strecke aus meinem Wanderführer vorab heruntergeladen und bin damit gut gefahren. Man sieht damit zumindest, ob man sich als kleiner GPS-Punkt auf dem Weg bewegt, oder davon abgekommen ist und kann sofort gegensteuern. Das ist mir tatsächlich nur einmal passiert. Es war überhaupt nicht schlimm, denn ich habe lediglich einen falschen Abzweig genommen, der mich vom Weg ab und hinunter zu einem See geführt hat. Dort habe ich dann gemerkt, dass es nicht weiter geht und bin direkt umgekehrt.
  • Eine Mitwanderin, die ich später kennenlernte, schwört auf Komoot. Man zahlt um die 10 Euro für den Download des Kartenmaterials und kann dieses dann offline nutzen.
  • Als Back-up hatte ich eine wasserfeste, gedruckte Karte dabei, die ich mir in Kiruna in der Touristeninfo gekauft hatte. To be honest: Ich habe kein einziges Mal drauf geschaut und werde sie direkt weiterveraufen.
  • Am besten funktionieren eigentlich die orange-roten Markierungen auf den Felsen. Dadurch und durch die Wegweiser an großen Kreuzungen ist der Weg eigentlich sehr klar gekennzeichnet. Eine sehr unglückliche Ausnahme bildet das Stück zwischen Singi und Kebnekaise. Dazu später mehr.

Im Hippie Himmel

Der Weg führt mich am rauschenden Fluss Abiskojokk entlang, der in den großen See Abiskojaure mündet, an dem sich die gleichnamige STF-Hütte (fjällstuga) befindet. Am ersten Tag geht es stetig voran durch sonnendurchflutete Birkenwälder, über Plankenwege und Hängebrücken an rauschenden Flüssen und stillschweigenden Seen entlang, über denen die Möwen kreisen.

Tierbegegnung des Tages: Ich trete beinahe auf ein wundervolles, dickes Moorhuhn, das direkt auf meinem Weg liegt und sich auf seine Tarnung verlässt. Selbst als ich es aufgescheucht habe, watschelt es mit einer Gemütlichkeit davon, die mich die Überlebensfähigkeit der Tiere in Frage stellen lässt.

Die STF Hütte Abiskojaure ist ein Hippie-Eiland. Menschen springen in der Abendsonne nackt in den See, um sich abzukühlen. Es gibt eine nach Geschlechtern getrennte Sauna, in der man sich in einer Eisenschale heißes und kaltes Wasser zum Duschen mischen kann.

Hüttenleben

Hier kommt das für mich Unerwartete: Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe. Aber als mich die nette ältere Schwedin (Stugvärdin) in die Unterkunft einweist, realisiere ich erst, wie einfach ich die nächsten Tage leben werde:

  • Duschen? Fehlanzeige! Sich selbst und die eigene Kleidung wäscht man im See oder Fluss.
  • Dort muss auch das Wasser zum Trinken, Kochen und Abwaschen geholt werden. Fließend Wasser gibt es hier nicht.
  • Gekocht wird mit einem Gasherd – die Stugvärdin muss mir erst einmal erklären, wie man den bedient. Die Camping-Touren mit meiner Familie sind doch schon einige Jahrzehnte her.
  • Frisches Essen gibt es nicht. Die größeren Hütten haben eine charmante kleine butik, in der es haltbare Lebensmittel gibt, die man dem Mitgebrachten hinzufügen kann. Ich greife mehrmals dankbar auf die Möglichkeit zurück, Bohnen und Thunfisch aus der Dose zu meinen Reis- und Couscous-Instant-Gerichten hinzuzufügen, um etwas Protein herein zu bekommen. Auch Pulverkaffe stocke ich immer wieder auf. Ansonsten ist das Sortiment klar an Fleisch-Esser gerichtet: Köttbullar und Ravioli, gefriergetrockenete Bolognese und Chicken-Curries, getrocknete Elch- und Rentierwurst. Danke, aber nein Danke. Und: Die Preise darf man nicht anschauen. Da die Lebensmittel im Winter mit Schnee-Scootern auf die Hütten transportiert werden, lassen sich die locals den Aufwand etwas kosten. Und das ist auch okay so. Ich gebe sonst ja kein Geld aus in der Natur und die kleinen Annehmlichkeiten sind viel wert. Zudem unterstützt man damit die lokale Bevölkerung.
  • Die umständlichen Transportmöglichkeiten begründen auch, dass man seinen Plastikmüll in einer stetig wachsenden Abfalltüte von Hütte zu Hütte mitnehmen muss und am Ende des Trails erst entsorgen kann.
  • Die Alternative zum Plumpsklo ist nur die Verrichtung der Notdurft in der Natur.
  • Es gibt keine Steckdosen, um Kameras, Smartphones, E-reader und Co. zu laden. Hier macht sich eine prall gefüllte Powerbank bewährt.
  • Für die nächsten Tage ist Privatsphäre nicht gegeben. Es gibt ausschließlich geteilte Schlafsäle. Das Personal achtet zum großen Teil darauf, die Geschlechter und Alleinreisende zusammen zu gruppieren und Paare sowie Gruppen beisammen zu lassen. Das funktioniert aber nicht immer zu 100%.

Good to know: Instant-Gerichte der Marke Davert gibt es in Deutschland bei DM zu kaufen. Es sind einige vegetarische Optionen dabei und das waren für mich echte Lebensretter. Es gibt Leute die sich für hunderte von Euro mit Outdoor-Nahrung für solche Trips eindecken. Ich finde, das kann man sich sparen, indem man einfach die Basics wie Reis, Nudeln, Linsen und Haferflocken mitnimmt und sich ein paar Add-ons in den Butiken dazu kauft. Aber jedem das seine!

Zuerst habe ich Berührungsängste. Diese Art von Leben ist für mich völlig ungewohnt. Aber dann freunde ich mich sehr schnell mit den einfachen Bedingungen an und finde richtig Freude daran.

Ich suche eine Badestelle auf, die mir die Stugvärdin empfiehlt, da sie nicht einsehbar ist und wage den Sprung ins eiskalte Seewasser. Schlimmer als der Kälteschock ist für mich der Gedanke, den klebrigen Schweis der Wanderung nicht von der Haut zu bekommen. Ich wähle das für mich kleinere Übel und bin danach sehr froh mich überwunden zu haben. Ich lege mich auf einen Holzsteg in die Sonne, wärme mich wieder auf und bin herrlich erfrischt.

Good to know: Die Moskito-Warnungen im Zusammenhang mit dieser Tour sind nicht übertrieben. Die kleinen Biester sind überall, aber besonders schlimm ist es an stehenden Gewässern und natürlich auf und in den Hütten. Die Moskitos wissen, wo sie uns kriegen!

Antibrumm und lange Kleidung vermeiden das Schlimmste. Aber Achtung: Durch Leggins und sogar Wandersocken stechen sie einfach durch. In Schweden gibt es ein lokales Mückenabwehrspray zu kaufen, das sich „Mygg + Fästing“ von Sjö & Hav nennt. Es riecht besser als Antibrumm und funktioniert meiner Meinung nach sogar noch ein kleines bisschen besser.

Kopplar av – Abschalten

Keinen Handyempfang zu haben ist ein Segen. Zuerst verunsichert es mich. Dann vergesse ich über immer längere Perioden, wo mein Handy eigentlich gerade liegt. Ich schaue einfach in die Natur. Döse. Lese. Und beschäftige mich mit meinen Mitmenschen.

Mit denen werde ich über die nächsten Tage zum eingeschweisten Team. Wir sind ein Kern von 10-15 Wandersleuten, die auf der Kernroute unterwegs sind und sich immer wieder begegenen: auf den Hütten und beim Pause machen entlang des Weges. Wir nennen uns irgendwann nur noch „Die Gang“.

Ich merke schnell, dass ich mir mit etwas Kreativität auch unter einfachen Bedingungen durchaus gutes Essen zubereiten kann, das meinen Körper mit dem versorgt, was er die nächsten Tage braucht. Und mein Kopf konzentriert sich auf die Aufgaben, die unmittelbar vor mit liegen: Mich selbst und mein Umfeld rein halten, Essen und Trinken organisieren, meine Wege finden. Nicht stolpern oder umknicken. Ich bin vollständig im Hier und Jetzt, Ab und zu in der Vergangenheit und Zukunft. Aber von Tag zu Tag werde ich präsenter und lasse all das los, was mir im Moment nicht dienlich ist.

Verfasst von:

Hallo! Mein Name ist Daniela. Ich arbeite im Marketing und lebe in München. Wenn ich nicht gerade arbeite oder reise, übe ich traditionelle Kampfkunst, Yoga oder mache Wanderungen in den bayerischen Voralpen. Schön, dass du hier bist und Teil meines Weges sein möchtest.

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