Das andere China

Bei meiner Anreise von München nach Taipei erlebe ich ein Wechselbad der Gefühle. Bis Bangkok herrscht Ballermann-Flair in Flieger. Auf der zweiten Teilstrecke wandelt sich die Stimmung zu meditativer Stille und gegenseitiger Rücksichtnahme. Stille Vorboten einer ganz besonderen Kultur, in die ich in den nächsten vier Wochen eintauchen werde.

Fußschweiß und Ellebogen

Mein Thai Airways Flug bringt mich in 11 Stunden von München nach Bangkok und von dort nach kurzem Layover in 3 Stunden weiter nach Taipei. Das Publikum auf dem ersten Teil der Reise hat Ballermann-Qualität: Meine Mitreisenden verhalten sich rücksichtslos und mich macht traurig, dass aus Thailand scheinbar ein zweites Mallorca für deutsche Pauschalurlauber:innen geworden ist.

Nackte, unansehnliche Füße meiner Nebensitzer wandern ungefragt in meinen Sitzbereich. Ein Jason Momoa-Verschnitt, der kein Gefühl für seinen eigenen Körperumfang hat, drückt mir beim gestikulieren immer wieder seinen Ellebogen ins Gesicht – und reisst sich nicht mal dann zusammen, als ich ihn freundlich und bestimmt darauf hinweise.

Auf dem zweiten Flug schlägt die Stimmung ins genaue Gegenteil um. Was Anstand, Rücksichtnahme und ein harmonisches Miteinander angeht, scheint uns der asiatische Teil der Welt wirklich um Lichtjahre voraus.

Good to know: Vegetarisches Essen könnt ihr bei der Buchung eures Thai Airways Tickets direkt und kostenlos mitbestellen. Und wenn ihr es vergessen habt, könnt ihr die Option bis zu 48 Stunden vor Abflug ergänzen. Das Essen ist für Flugzeugverhältnisse gut und ein extra Bonus ist, dass ihr eures vor allen anderen Gästen serviert bekommt.

Ankommen in Taipei

Bei der Landung in Taipei machen mich die plakativ angekündigten drakonischen Strafen bei der Einfuhr von Tierprodukten und Pflanzen ziemlich nervös. Aus Angst wandern meine mitgebrachte Nussmischung und der Proteinriegel von Zuhause noch vor der Kontrolle in den Müll.

Ein Taiwan Essential: Die Easy Card

Danach erwartet mich erst einmal ein Verwirrspiel beim Suchen des Counters, an dem ich meine über Klook vorabbestellte lokale SIM-Karte abholen soll. Ich entscheide mich für einen Tarif von Chunghwa Telecom für 30 Tage und nehme gleich noch eine Easy Card mit Startguthaben zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel mit.

Taipei verfügt über ein sehr modernes MRT-System. Die Stationen sind hier allerdings nicht so engmaschig gesetzt, wie in anderen Großstädten, sodass es trotz guter Anbindung relativ weite Laufwege zu bewältigen gilt.

Meine Easy Card mit Hello Kitty Motiv schafft mir bequemen Zugang dazu. Sowie zu allen Bussen, Fähren, Leihfahrrädern und lokalen Zügen im ganzen Land. Man kann die Karte in allen MRT-Stationen und in Convience Stores aufladen. Etwas planvoll solltet ihr dabei aber vorgehen, denn Restbeträge lassen sich bei Abreise nicht auszahlen.

Es folgt meine übliche Routine an neuen Orten: Gepäck einsammeln, Bargeld abheben, Toilette aufsuchen, Getränkeflasche auffüllen. Und dann gönne ich mir erst einmal ein köstliches vegetarisches Bibimbap, bevor es mit der MRT ins Zentrum von Taipei geht.

Das andere China

Meine ersten Eindrücke von Taiwan? Ich bin hier kultuell irgendwo zwischen China und Japan. Das stelle ich spätestens fest, als eine Frau mittleren Alters im Hostel-Schlafsaal neben mir keinerlei Anstalten macht, ihre natürlichen Körperfunktionen zu kontrollieren. Erst bin ich schockiert, dann amüsiert. Was habe ich denn eigentlich erwartet?

Verkehr

Auf der anderen Seite scheinen mir die Taiwaner:innen viel ruhiger und zurückhaltender als die Festland-Chines:innen. Die japanische Kolonialzeit hat deutliche Spuren in der Mentalität der Menschen hinterlassen: Das macht sich neben der Stille an öffentlichen Orten auch im gesitteten Straßenverkehr bemerkbar.

Der ist gegenüber Fußgänger:innen viel rücksichtsvoller als in Deutschland. Es gibt tolle Radwege und das Fahren in der Großstadt ist total entspannt. Rote Ampeln werden strikt eingehalten, obwohl weit und breit kein Gegenverkehr zu sehen ist.

Kleinstadtfeeling: Leere Straßen im Zentrum von Taipei

Man hat als Fußgänger:in zwar nur ein sehr begrenztes Zeitfenster und muss sich gehörig sputen, um bei der schnellen Ampelschaltung große Kreuzungen zu überqueren. Dennoch sind die Leute hier gemütlich unterwegs. Ich sehe niemanden rennen, um einen Zug zu erwischen, oder es last minute über die Straße zu schaffen. Es herrscht ein Grundgefühl der Entspannung, das mir dabei hilft, einen Gang herunter zu schalten und meine eigenen Schritte zu verlangsamen.

Spannend finde ich auch, dass es in den Städten viele überdachte Passagen gibt, die vor brüllender Hitze und Starkregen schützen. Manchmal muss man auf die Straße ausweichen, da sie mit Rollern oder Fahrrädern zugeparkt sind. Oder weil sich die Sitzgelegenheiten eines Restaurants auch jenseits der Räumlichkeiten ausbreiten.

Esskultur

Da nur wenige internationale Reisende Taiwan auf dem Radar haben, ist alles hier extrem authentisch. Attraktionen sind ganz klar auf die Bedürfnisse der locals ausgelegt. Es kann euch schon passieren, dass in kleineren Hotels das Frühstück aus Reisbrei mit Algen besteht. Und beim Gang durch den Nachtmarkt ist klar im Vorteil, wer nicht ausgeprägt geruchssensibel ist.

Die taiwanische Delikatesse stinky tofu lauert an allen Ecken – und der Name ist Programm. Bei meinem ersten gejetlaggten Gang durch den Raohe Street Nachtmarkt schlägt mir der strenge Geruch entgegen wie eine Welle, während Stände mit gegrillten Fröschen, Hühnerfüßen und Entenschnäbeln an mir vorbeiziehen.

Nationalgericht: fermentierter Tofu

Der große Vorteil ostasiatischer Länder: Die Preise sind hier fix und für Tourist:innen und Einheimische gleich. Es wird nicht verhandelt und Trinkgelder sind unüblich. Ich empfinde es als große Erleichterung, dass ich nicht permanent auf der Hut sein muss, übers Ohr gehauen zu werden.

Stadtleben

Die Architektur in Taipei ist ehrlich gesagt keine Augenweide, das sehe ich schon bei der MRT-Fahrt vom Flughafen ins Zentrum. Ich fühle mich ein bisschen nach China zurückerinnert, wo ehrwürdige alte Gebäude zugunsten der Modernisierung platt gemacht und durch seelenlose Betonbauten ersetzt wurden.

Die Architektur Taipeis wurde zu großen Teilen gar nicht in die Moderne katapultiert. Das meine ich gar nicht despektierlich. Denn im guten Sinne hat sich Taiwan viele Relikte aus japanischer Kolonialzeit bewahrt, die andernorts dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Toiletten Navigation leicht gemacht

Neben dem Gewöhnungsbedürftigen gibt es auch sehr viel Positives, das ich über die nächsten vier Wochen wirklich zu schätzen lerne: An allen Ecken gibt es Trinkwasserspender, an denen ich meine Flasche gratis und umweltschonend nachfüllen kann. Und öffentliche Toiletten nach japanischem Modell, die teilweise sogar mit einem Ampelsystem ausgestattet sind, das in Echtzeit freie Kabinen anzeigt.

Wertsachen im öffentlichen Raum

Wie in Japan ist sehr auffällig, dass die Taiwaner:innen großes Vertrauen in die Integrität ihrer Mitmenschen haben. Ich habe eine persönliche Highlight-Gallerie zum Thema „Wertgegenstände im öffentlichen Raum“ erstellt. Darin seht ihr wie Laptops, Handys, Taschen, Rucksäcke und ganze Koffer einfach in Cafés, Zugstationen oder am Straßenrand stehen gelassen werden, während deren Besitzer:innen auf die Toilette gehen, schlafen, oder ihre Bestellungen an der Kasse abholen.

Bei Verkaufsständen am Straßenrand liegt eingenommenes Geld gut sichtbar und leicht greifbar auf dem Tresen, während das Personal in Kundengespräche vertieft ist. Ich lese, höre und habe auch selbst den Eindruck, dass die größte Gefahr, in Taiwan beklaut zu werden, in Hostels lauert und von Besucher:innen anderer Nationalitäten ausgeht.

Die Taiwaner:innen

There is something cute on every person. Diesen Satz schreibe ich in den ersten Tagen in mein Reisetagebuch, Meine ausgiebigen Beobachtungen in öffentlichen Verkehrsmitteln zeigen: Männer wie Frauen tragen hier süße, aus europäischer Wahrnehmung kindliche Accessoires. Sie baumeln an Rucksäcken und Schlüsseln, zieren als Prints Kleidung und Handy-Cover.

Auf der Fahrradtour mit Taipei Bike Works (hier nachzulesen) erfahre ich, dass die Japaner:innen diese cute culture nach Taiwan gebracht haben. Mit süßen Illustrationen auf den Schildern ihrer Läden wollten sie den locals signalisieren: Ihr braucht keine Angst vor uns haben, wir sind harmlos.

Mir fällt zudem auf, dass die Taiwaner:innen lange und weite Kleidung tragen. Kurze Hosen sind eher die Ausnahme und schulterfrei sieht man so gut wie gar nicht. Menschen halten in der Öffentlichkeit Händchen, auch wenn sie nicht in einer partnerschaftlichen Beziehung sind. Und wenn doch, scheuen Männer auch nicht vor Glitzernagellack zurück, um den Look ihrer Partnerin zu spiegeln.

Das Abenteuer beginnt

Von den ersten irritierenden Schildern am Flughafen bis zur meditativen Stille in der MRT– Taipei hat mich vom ersten Tag an gepackt. Und ich ahne: Das hier wird anders als alle Asien-Reisen, die ich bisher gemacht habe.

Wenn du wissen willst, wie ich am Frühstückstisch in meinem Hostel missioniert werde und Taipei City auf zwei Rädern erobere, dann bleib dran!

Und wenn du noch tiefer eintauchen willst, empfehle ich dir meinen großen Intro-Artikel zu Taiwan: Willkommen auf Formosa.

Verfasst von:

Hallo! Mein Name ist Daniela. Ich arbeite im Marketing und lebe in München. Wenn ich nicht gerade arbeite oder reise, übe ich traditionelle Kampfkunst, Yoga oder mache Wanderungen in den bayerischen Voralpen. Schön, dass du hier bist und Teil meines Weges sein möchtest.

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