Ich will ehrlich mit euch sein: Ich hatte für den Großteil dieser Reise echte Berührungsängste mit der japanischen Onsen-Kultur. Der Gedanke, mich in einem fremden Land splitterfasernackt in eine öffentliche Badeanstalt zu begeben, löste eine Abwehrhaltung in mir aus.
Japans heiße Quellen
Im traditionellen Sinn ist ein Onsen ein Thermalbad, das von einer natürlichen heißen Quelle gespeist wird. Und von denen gibt es in Japan aufgrund der tektonischen Gegebenheiten zuhauf.
Ich komme aus Deutschland, dem Land von FKK und nacktem Saunieren. In meiner Familie und meinem Freundeskreis wurde das allerdings nie praktiziert. Und obwohl ich mich wohl in meinem Körper fühle und kein Problem damit habe, z.B. in der Sportumkleide nackt zu sein: Die Onsen-Erfahrung in Japan habe ich wirklich so lange es ging, vor mir her geschoben.
Während meine Freundin voller Vorfreude jedes Hotel-Onsen stundenlang in Beschlag nahm, griff ich lieber auf die Zimmerdusche zurück. Im Nachhinein bin ich allerdings sehr froh darüber, dass ich mir mein „erstes Mal“ für das wunderbare Atsumi Onsen aufgehoben habe.
Badeparadies in den Bergen: Atsumi Onsen
Die Übernachtung in dem schlossähnlichen Spa-Hotel Atsumi Onsen TACHIBANYA habe ich meiner Freundin zu ihrem Geburtstag geschenkt, der mitten in unsere Japan-Reise fiel.
Der Spa-Ort Atsumi Onsen befindet sich in der Präfektur Yamagata inmitten von Bergen, irgendwo zwischen Tsuruoka und Murakami an der Westküste Japans. Die Anfahrt in die ländliche Region inmitten von Wäldern und Dunkelheit war recht abenteuerlich und nährte mein Unwohlsein ob der bevorstehenden Spa-Erfahrung.
Meine Zweifel lösen sich mit dem ersten Schritt ins Spa-Hotel in Luft auf. Für die nächsten 24 Stunden fühle ich mich wie in Watte gepackt. Angefangen von der sympathischen englischen Muttersprachlerin, die uns bei der Ankunft begrüßt und uns unser Zimmer zuweist. Wir erfahren im Aufzug-Smalltalk, dass sie nach Japan gekommen ist, um Englisch zu unterrichten und dann einfach dort geblieben ist. Wie nachvollziehbar!
Futon-Träume und japanische Gärten
Wie alles, sind auch die Zimmer im traditionell japanischen Stil gehalten. Mit Schiebetüren, einer Frühstücksnische und Blick auf einen atemberaubenden japanischen Garten. Ein weiteres Mal schlafen wir himmlisch auf Futons und Tatami-Matten auf dem Boden. Ich schwöre: Bei meinem nächsten Umzug verkaufe ich mein Boxspring-Bett und hole mir einen Futon.
Wir dürfen uns beim Check-in mehrere Kimonos aussuchen, die wir während unseres Aufenthalts abwechselnd zur Yukata tragen. Ich wähle einen zarten Rosaton, genauso wie damals bei einer Tee-Zeremonie in Kyoto auf meiner ersten Japan-Reise. Das ist einfach meine Kimono-Farbe.
Wir fühlen uns wie kleine Mädchen, die sich aufgeregt verkleiden und dann zum Fotoshooting in den japanischen Garten eilen. Hier kann auch ich nicht widerstehen und lasse mich zu einer Fotosession hinreißen. Die amüsierten Bar-Besucher, die neben ihren Panorama-Blick auf den Garten nun auch uns präsentiert bekommen, blenden wir gekonnt aus.
Kimonos und Konversation: Eine Nacht im Onsen
Wenn man im Internet sucht, liest man viel von Onsen-Baderegeln und „How-to-Anleitungen“ für Touristen. Im Nachhinein finde ich, diese Artikel schüren unnötige Panik. Eigentlich ist alles ganz intuitiv und birgt wenig Blamage-Potenzial.
Das einzige, was man wirklich im Hinterkopf behalten sollte, ist: Tattoos werden tatsächlich nicht gerne gesehen. Diese gelten im traditionellen Japan als Symbol der Jakusa. Mittlerweile haben junge, urbane Japaner natürlich auch Tattoos, wenn sie keiner kriminellen Vereinigung angehören. Aber in ländlicheren Regionen scheint es nach wie vor ein No-Go zu sein.
Zudem möchte ich vorweg schicken: Meiner Meinung nach empfiehlt es sich aus hygienischen Gründen nicht unbedingt, ins Onsen zu gehen, wenn du deine Tage hast. Du wirst gleich verstehen, warum.
So gelingt der Onsen-Besuch
- Wie überall in Japan: Vor dem Betreten des Spa-Bereichs unbedingt die Schuhe ausziehen!
- Männer und Frauen verschwinden separat voneinander hinter blickdichten Vorhängen.
- Du entkleidest dich und verstaust deine persönlichen Gegenstände in eigens bereitgestellten Taschen und Schließfächern.
- Ab hier bist du grundsätzlich nackt. Manche Leute nehmen ein kleines Handtuch mit, um sich zu bedecken und legen dieses beim Baden auf ihrem Kopf ab.
- Dann geht es weiter in den Spa-Bereich.
- Bevor du die unterschiedlich temperierten Becken und Saunen betrittst, muss du dich waschen. Macht auch Sinn, den Schweiß des Tages nicht in die Becken zu tragen, die alle benutzen, oder?
- Dafür setzt du dich auf kleine Hocker in separierten Nischen und duschst dich mit einer abnehmbaren Handbrause.
- Produkte für die Schönheitspflege gibt es gratis und zuhauf. Später kannst du dich hier ausgiebig kultivieren. Manche Leute scheinen sich auf diesen Hockern sogar zu rasieren. Das wäre mir allerdings etwas zu viel.
- Und dann ab ins Badevergnügen! Ich hatte sogar das Glück ein beheiztes Außenbecken ganz für mich alleine zu genießen. Es war dunkel und der Regen prasselte über mir auf die Überdachung. Solche Momente bleiben in Erinnerung!
Am Ende war in dem Spa gar nicht so viel los, wie ich mir ausmalt hatte. Und wenn die Japanerinnen eines sind, dann diskret. Jede senkt den Blick und kümmert sich um sich selbst. Ich habe nie erlebt, dass mich jemand angestarrt hätte.
Wohl aber hat sich mir eine charmante ältere Dame ganz schüchtern angenähert und mir mitgeteilt, dass ich „kawaii“ (hübsch, niedlich) sei. Wie schmeichelhaft.
Meisterhafte Sushi-Kunst
Zum Highlight der gesamten Reise, wird das Sushi-Lokal im Örtchen, das uns die UK-Dame an der Rezeption empfiehlt: Suehiro Sushi.
Es ist eine dieser Lokalitäten, in die ich mich als Alleinreisende niemals hinein getraut hätte. Hier ist alles authentisch. Das Restaurant wird von einem hingebungsvollen älteren Pärchen nach allen Regeln der Kunst betrieben. Außer uns sind nur Einheimische in dem Restaurant.
Uns werden Hocker direkt an der Bar zugewiesen, sodass wir dem Sushi-Meister bei seinem Handwerk zusehen können. Rechts neben mir an der Wand hängt ein Fernseher. In dem Beitrag, der gerade läuft, sehen wir, wie zersprungene Keramik repariert und die Risse mit Goldlack fixiert werden („kintsugi“).
Tipp: Nachdem wir uns kurzzeitig mit Google Translate durch das handgeschriebene, japanische Papiermenü gekämpft haben, beschließen wir, dem Koch einfach unser Budget zu nennen und uns überraschen zu lassen. Wir hatten ihm 5.000 Yen pro Person genannt.
Am Ende haben wir ein fürstliches Mahl mit Vor-, Haupt- und Nachspeise für 4.500 Yen (14-15 Euro) pro Nase bekommen. Allein die Tatsache, dass wir nicht ausgenutzt werden und sogar noch etwas von unserem Budget zurück bekommen, spricht Bände über die japanische Kultur.
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Ich habe hier das beste Nigiri-Sushi meines Lebens gegessen. Der Chef kredenzt uns eine Auswahl an flambiertem Aal, gekochter und roher Garnele, Lachs, Thunfisch und Weißfisch. Dazu gibt es Miso-Suppe, Dessert-Sushi mit süßem Omelett und liebevoll ausgewählte Früchte: Ein Stück Birne und eine einzige, pralle Traube.
Die Qualität der Meeresfrüchte ist gigantisch. Der butterweiche Fisch zergeht mir auf der Zunge. Eine perfekte Kombination mit dem auf dem Reis platzierten Wasabi-Punkt und der salzigen Sojasauce.
Tipp: Nigiri Sushi in Japan wird niemals mit der Reis-Seite in die Sojasauce getunkt. Experten dippen immer nur die Fisch-Seite kurz ein. Dann wird das Sushi am Stück gegessen. Abbeißen, auseinander schneiden, mit Stäbchen auseinander quetschen etc. lässt Japanern völlig zurecht die Haare zu Berge stehen.
Ich hatte ein bisschen Sorge, dass vielleicht etwas dabei sein könnte, was ich nicht mag, wenn wir dem Koch freie Wahl lassen. Weit gefehlt! Jeder Bissen ist ein absoluter Hochgenuss und wenn man sich einer Sache sicher sein kann, dann dieser: Dieser Mann weiß, was er tut.
Ich lüge nicht, wenn ich sage: Dieses Essen treibt mir die Freudentränen in die Augen. Das Pärchen ist entzückend und wir sehen ihnen an, wie sehr sie sich darüber freuen, dass sie es ihren ausländischen Gästinnen so recht machen konnten.
Heilende Hände: Shiatsu-Massage in Japan
Den wunderbaren Abend lassen wir mit einer traditionellen japanischen Shiatsu-Massage ausklingen, die umgerechnet 43 Euro für eine Stunde kostet. Diese japanische Massagetechnik stimuliert die Lebensenergie, indem Druck auf verschiedene Akupunkturpunkte entlang energetischer Verbindungen im Körper (Meridiane) ausgeübt wird.
Die Termine finden recht spät statt, sodass wir danach direkt in einen tiefen, erholsamen Schlaf sinken. Sozusagen von einem wohligen Delirium ins nächste.
Königliches Erwachen
Am Morgen darauf wache ich so erholt auf, wie lange nicht mehr. Zum ersten Mal seit Wochen kommen mir beim Aufwachen keine Sorgen oder schweren Gedanken in den Kopf.
Beim aufwändig arrangierten, japanischen Frühstück fühlen wir uns etwas unbeholfen. Zum Beispiel als es darum geht, ein halb-gekochtes Ei richtig mit Sojasauce und Reis zu mischen. Zum Glück hilft uns einer der ebenso aufmerksamen wie diskreten Kellner.
Die Japaner sind rührend darum bemüht, Ordnung aufrecht zu erhalten. Und unterstützen sich beherzt dabei, nicht aus dem Rahmen zu fallen. So beobachte ich eine ältere Dame, die von ihrem Frühstückstisch aufspringt, um einer Frau zur Hilfe zu eilen, deren Kimono-Gürtel („obi“) sich gelöst hatte.
Spaziergang im Paradies
Den restlichen Vormittag flanieren wir in unsere bunten Yukatas und Hotel-Crocs (kein Spaß) durch das Örtchen Atsumi Onsen. Entlang des gleichnamigen Flusses, finden sich immer wieder heiße Quellen, in die wir unsere Füße tauchen.
Die Angler, die unter uns im Fluss stehen und auf einen Fang warten, sind sichtbar fasziniert von uns. Die Sonne scheint und wir begegnen weiteren in Yukatas gekleideten Hotelgästen. Es gibt neben unserem noch ein weiteres großes Spa-Hotel am Ort.
Und als ich denke, es kann nicht schöner werden, kommen wir an einer Reihe liebevoll gehegter und gepflegter Bonsai-Bäumchen vorbei. In ihren farbenfrohen Töpfen stehen sie einfach so am Fluss. Der Moment fühlt sich an, als wäre er den Karate-Kid-Filmen entsprungen und mein Herz möchte vor Glück zerspringen.
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