Eine Samurai-Burg in einer weitläufigen Parkanlage. Naturspektakel und köstliche Äpfel. Das charmante Hirosaki führt keine Japan-Highlight-Listen an. Unberechtigt, wie ich finde. Denn die Stadt im Norden Honshūs bietet eine besondere Kombination aus Geschichte und Genuss. Ganz ohne Touristentrubel!
Sonniges Willkommen auf Honshū
Wir sind zurück auf Honshū. Unsere Ankunft wird von strahlendem Sonnenschein, stechend blauem Himmel und sattgelben Feldern begrüßt. Die Reisernte ist in vollem Gange. Das flache Land und der unendlich weite Himmel sind eine willkommene Abwechslung zu dem gedrungenen, von Bergketten und Wäldern geprägten Hokkaidō mit seinen kühleren Temperaturen und häufigen Niederschlägen. Kommt es uns nur so vor, oder sind sogar die Japaner hier einen Ticken offener und freundlicher?
Die Fähre, die uns zurück auf die Hauptinsel bringt, legt im Ort Aomori an. Aber wir entscheiden uns noch ein Stück weiter zu fahren und die Nacht im 30km entfernten Hirosaki zu verbringen („Da gibt es eine Samurai-Burg“ – „Ach cool, lass da übernachten“). Ursprünglich nur als Durchgangsstation gedacht, wird Hirosaki zu einem unserer Japan-Highlights.
Eine Stadt, die Apfelkuchen liebt
Hirosaki geht mit seinen knapp 200.000 Einwohnern definitiv als Großstadt durch. Dreh- und Angelpunkt ist die wunderschön erhaltene Burganlage, auf die ich gleich näher eingehe.
Darüber hinaus befindet sich Hirosaki inmitten einer Obstanbau-Region. Zur Zeit unseres Besuches im Herbst war Apfelsaison. Wie stolz die Japaner auf ihre Agrarprodukte sind, ist gemeinhin bekannt. Ein neues Level erreicht das in Hirosaki: Es gibt tatsächlich eine eigens entwickelte Stadtkarte, auf der Cafés vermerkt sind, die den besten Apfelkuchen der Region anbieten.
Samurai-Geschichte: Burg Hirosaki
Die Burg Hirosaki allein lohnt schon einen Besuch dieser wunderschönen Stadt. Sie stammt aus dem Jahr 1611 und gehörte dem Tsugaru-Klan. Die aktuelle Burg ist allerdings eine Rekonstruktion, da das Original 1810 leider – wie so viele historische Gebäude in Japan – dem Feuer zum Opfer fiel. Laut Lonely Planet wurde das Feuer in diesem Fall sogar durch einen Blitzeinschlag entfacht.
Zur Burg Hirosaki gehört eine weitläufige öffentliche Parkanlage und ein bezaubernder botanischer Garten. Im Park befinden sich unglaubliche 5.000 Kirschbäume! Deshalb zählt dieser Ort auch zu den beliebtesten in Japan, um im Frühling die Kirschblüte (Hanami) zu zelebrieren. Wir haben dem Besuch des Komplexes den kompletten Nachmittag gewidmet.
Hier ist es nicht überlaufen. Orte wie dieser repräsentieren für mich das ultimative Japan-Gefühl. Du kannst dich treiben und inspirieren lassen. Umgeben von wunderschöner Natur, Stille, Eintracht. In der Ferne erhebt sich der gigantische Berg Iwaki-san. Du kannst dich hinsetzen und in Gedanken versunken den Blick über einen Lotusteich schweifen lassen. Hunderte von Jahre alte Bäume bestaunen. Über karmesinrote Brücken und inmitten einer blütenleeren Kirschbaum-Allee wandeln.
Ab und an begegnen dir neugierige Schulkinder, denen beigebracht wurde, ausländisch aussehenden Menschen ein „Hello“ zuzurufen. Groß war das Gekicher, als wir ihnen mit „Konnichiwa“ antworteten.
Kulinarische Experimente
Mit Blick auf das Essen war Hirosaki für uns leider ein Flop. Es gibt sie sicher, die versteckten kulinarischen Juwelen. Wir haben sie nicht gefunden. Da war zum einen die Restaurant-Empfehlung des Lonely Planet. Es ist wirklich erstaunlich: In Japan waren diese zu 50% Volltreffer und zu 50% Griffe ins Klo. Das Restaurant Rairaiken als solchen zu bezeichnen, wäre unfair.
Die Location war vielversprechend, in unmittelbarer Nähe zum Eingang der Burg Hirosaki. Auch das Ambiente ist bezaubernd. Authentisch. Die chinesische Familie, der das Lokal gehört, ist wahnsinnig süß und freundlich. Das Essen untertraf jedoch unsere Erwartungen. Es erinnert leider an chinesisches Essen in Deutschland: Die Portionen sind sehr groß und sehr salzig.
Ich hatte frittierte Nudeln, die noch hart waren und langsam in der salzigen, dicken Soße aufweichten. Die Kombination aus Salz und Fett war alles andere als ein leichter Lunch. Der gebratene Reis mit Krabbenfleisch, den wir dazu bestellt haben, war ebenfalls sehr gehaltvoll.
Ich war auf meiner vierwöchigen China-Reise in 2019 bei weitem nicht in allen Landesteilen. Aber authentisches chinesisches Essen habe ich dort anders erlebt. Besonders enttäuscht hat uns auch, dass als vegetarisch ausgelobte Speisen kleine Schweinefleisch-Fetzen enthielten.
Ebenfalls nicht empfehlen würde ich, in Japan Italienisch essen zu gehen. Die Locals fahren darauf ab und es scheint etwas zu sein, was sie sich zu besonderen Anlässen gönnen (allein der horrenden Preise wegen).
Auch wir hatten Lust, einmal westlich Essen zu gehen und besuchten abends die Pizzeria Mia. Ich sage es einmal so: Wer direkt neben Italien lebt und die italienische Küche in all ihrer Qualität kennt und schätzt, der kann hier nur enttäuscht sein. Ich würde empfehlen, dieses Erlebnis zu überspringen. Konzentriert euch lieber auf das traumhafte japanische Essen. Oder die vielen anderen hervorragenden asiatischen Küchen.
Einzigartiges Homestay-Erlebnis
Das eigentliche Highlight in Hirosaki war unsere Unterkunft: HIROSAKI清水森はうす. Das Homestay liegt im Randbezirk der Stadt und ist nur mit dem Auto gut zu erreichen. Ich kann in aller Ehrlichkeit sagen: Allein für diese berührende Erfahrung würde ich nochmals in den Norden Honshūs reisen.
Begrüßt wurden wir mit einer Tafel am Eingang, auf der mein Name stand und einem Glas frisch gepressten Apfelsaftes. Ich glaube, ich habe in diesem Moment das erste Mal in meinem Leben erfahren, wie richtiger Apfelsaft schmeckt.
Das ältere japanische Pärchen, dem die Pension gehört, spricht perfektes Englisch. Wie ihr bereits wisst: Eine Rarität in Japan! Er hat in den USA studiert. Dort haben sich die beiden auch kennen gelernt. Irgendwann wurde ihnen New York zu teuer und sie zogen zurück in die japanische Heimat. In Hirosaki besitzen sie zwei Häuser, eines im Zentrum und jene Herberge außerhalb.
Als wir unser Zimmer im japanischen Stil bezogen (Tatami Matten, Futons, wenig Mobiliar), verschlug es uns die Sprache: Das Zimmer war auf zwei Seiten von Fensterfronten durchzogen, die den Blick auf den wohl schönsten Sonnenuntergang freigaben, den ich je gesehen habe. Ringsum Apfelbäume, am Horizont die Silhouetten majestätischer Berge.
Und dazwischen ein Farbenspiel, das sich weder adäquat in Worten noch in Fotos einfangen lässt. ich war mir sicher: Bei einem längeren Aufenthalt würde ich hier wieder mit dem Malen anfangen und versuchen, diese Pracht in Öl- und Wasserfarben festzuhalten.
Entschleunigter Morgen
Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um mir den Sonnenaufgang anzusehen. Den habe ich leider nur halb erwischt, da ich mich mit der Uhrzeit vertan habe. Dafür stand mir ein ausgesprochen friedliches Frühstück in der Gemeinschaftsküche bevor. Ich bereitete mir Porridge zu und schrieb in mein Tagebuch.
Bald schon leistete mir die Gastgeberin Gesellschaft. Sie bot mir Kaffee an. Als ich dankend annahm, war mir nicht bewusst, welche Mühe damit verbunden sein würde: Die ältere Lady mahlte die Bohnen hingebungsvoll von Hand und goss das Pulver in Zeitlupe mit heißem Wasser auf.
Ich kann nicht anders, als die Japaner von tiefstem Herzen zu bewundern. Selbst simpelste Alltagstätigkeiten werden mit einer solchen Liebe zum Detail erledigt. Nichts geschieht hier überhastet. Menschen, die so leben, müssen glücklich und entspannt sein. Ich bin fest der Meinung, dass wir uns diese Einstellung in der westlichen Welt zum Vorbild nehmen sollten, um unserer allgegenwärtigen Rastlosigkeit und Unzufriedenheit entgegen zu wirken.
So saßen wir eine Weile in Stille nebeneinander und tranken unseren Kaffee. Ich schrieb und meine Gastgeberin las mit perfekt aufrechter Körperhaltung während im Hintergrund klassische Musik spielte. Ich fühlte mich mit dieser Frau durch die gemeinsame Liebe zur Kunst in diesem Moment so verbunden. Ist es nicht erstaunlich, wie wir Menschen im Kern so ähnlich sind? Wenn wir nur wollen, finden wir die Gemeinsamkeiten.
Als wir später am Morgen aufbrechen, fällt der Abschied schwer. Wir wären gerne länger geblieben. Aber wie heißt es immer: Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Vielleicht hätte eine Verlängerung unseres Aufenthalts, das Erlebnis nur getrübt. Deshalb setzen wir unsere Reise nach Akita fort – mit einer Apfelkuchen-Stadtkarte unserer Gastgeber im Gepäck.
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