Kungsleden Etappe Sechs: Singi – Kebnekaise

Schmale Pfade, raue Berge und weite Moore, die von kristallklaren Bächen gespeist werden. Die sechste Etappe des Kungsleden könnte landschaftlich einem Bilderbuch entsprungen sein, ist aber alles andere als ein Spaziergang – sondern eine echte mentale und körperliche Herausforderung.

Inzwischen ist bei uns allen die Vorfreude auf ein Stück Zivilisation groß, das uns die Fjällstation Kebnekaise verspricht. Wir sehnen uns nach ausgiebigen Duschen, nahrhaftem Essen und einer Verbindung zu unseren Daheimgebliebenen, mit denen in meinem Fall inzwischen ganze fünf Tage ungeplante Funkstille herrscht. Der Weg nach Kebnekaise wird uns jedoch alle noch einmal aus unserer Komfortzone drängen.

Auf Abwegen

Jedem Wandernden möchte ich an dieser Stelle den eindeutigen Hinweis geben: Der Weg von der Singi-Hütte nach Kebnekaise ist in großen Teilen ein Zubringer zum eigentlichen Kungsleden. Und obwohl es eine klassische Route ist, die in jedem Guide beschrieben ist, hält niemand es für nötig, Wegmarkierungen anzubringen. Ohne GPS oder vorigen Karten-Download sind Irrungen-Wirrungen damit leider vorprogrammiert. Lieber STF, gebt mir bitte einen Eimer Farbe und ich geh die Strecke freiwillig noch einmal für euch ab, um die Felsen anzupinseln.

Düstere Aussichten

Mein ganz persönliches Problem besteht darin, dass der Regen vom Vorabend die eigentlich ausgetretenen Wege einfach im Nirgendwo hat verschwinden und sichere Holzplanken im Wasser hat versinken lassen. Das ahne ich natürlich nicht, als ich mich auf den Weg mache. Dennoch begleitet mich von Anfang an ein richtig ungutes Bauchgefühl.

Im Überlebensmodus

Und prompt geschehen mir innerhalb kürzester Zeit gleich zwei Missgeschicke:

Den Weg finde ich zwar. Aber ich trete nach einer guten halben Stunde Gehzeit auf einen morschen Bohlensteg, der unter mir plötzlich wegsackt und mich bis zu den Waden im Schlamm versinken lässt. Meine Wanderschuhe laufen mit Wasser voll. Ich bin total überfordert und weiß nicht, wie ich allein mit dieser Situation umgehen soll. Bisher ist mir nichts Vergleichbares auf meinen Wanderungen passiert.

Nachdem ich realisiert habe, dass ich mich bewegen kann und nicht feststecke, befreie ich mich und gehe wie ferngesteuert erst einmal mit vollgelaufenen Wanderschuhen weiter. Die Sorge Verlorenzugehen ist gerade größer: Alles, woran ich denken kann, ist schnellstmöglich den Hauptweg zur Fjällstation zu finden.

Nebelwand

Und dann der zweite Schock: Mir fällt plötzlich auf, dass mein Handy nicht mehr in der Seitentasche meines Rucksacks steckt, in der es sonst seinen angestammten Platz hat. Nun gerate ich wirklich in Panik. Ich bekomme Stoßatmung, hyperventiliere sogar kurz.

Zum Glück funktioniert mein jedoch Gehirn weiter. Es ist wirklich interessant: Durch meine jahrelange Übung im Kampfsport, weiß ich scheinbar sehr genau, wie mein sich Körper unter Adrenalin verhält. Ich sehe mich von weit weg, wie ich da stehe und meine Symptome analysiere. Meinen Atem beruhige und im Problemlösungsmodus verschiedene Handlungsoptionen durchgehe.

Fight, not flight or freeze

Mein Kopf will mir zwar einreden, dass mein Handy verloren ist, doch nun folge ich meinem Bauchgefühl und gehe den Weg im Stechschritt zurück. Und siehe da: Mein armes kleines Handy liegt mit seinem lila Cover völlig unversehrt schon nach wenigen Schritten im weichen Gras. Inmitten des Weges scheint es geradezu auf meine Rückkehr zu warten.

Ich war mir noch nie in meinem Leben so sicher: Ich habe einen Schutzengel da oben. Und er macht einen verdammt guten Job.

Endlich klart der Himmel auf

Unter dem nächsten Wegweiser, der mir bestätigt, dass ich mich kurz vor dem markierten Hauptweg befinde, setze ich mich erst einmal erleichtert nieder und ziehe mir trockene Socken an. Zum Glück trage ich auf dieser Wanderung ja meine komplette Garderobe auf dem Rücken mit mir herum. Genau in diesem Moment kommt das Schweden-Duo freudestrahlend an den selben Wegpunkt. Ich war noch nie so dankbar dafür, andere Menschen zu sehen.

Der ultimative Wander-Hack

Als der Sohn von meinem Missgeschick erfährt, reicht er mir kurzerhand zwei Plastiktüten. Er habe gehört, wenn ich mir die über meine frischen Socken ziehe und damit in die nassen Wanderschuhe steige, könne ich ohne Probleme weiter gehen. Und er hat recht. Meine Füße bleiben ganz trocken, ich schwitze in den Plastiktüten nur gering und bekomme nicht einmal eine Blase, obwohl ich fest damit gerechnet habe. Merkt euch diesen Tipp, hier und jetzt und gebt ihn bitte weiter!

Es geht mühsam weiter. Wenig später verliert sich im Moor der Weg erneut, da das Wasser durch den Regen viel höher steht als sonst. Anhand der Fußspuren der Schweden, die ich nun voraus gehen habe lassen, finde ich eine Stelle zum Furten und komme wieder auf Kurs. All das zehrt an meinen Nerven und ihr könnt euch meine Erleichterung vorstellen, als der prominent deplatzierte Funkmast der Kebnekaise Fjällstation endlich vor mir aus der Natur ragt.

Ein Stück Zivilisation

Der Mobilempfang ist schon früher wieder da. Mein Handy explodiert mit Nachrichten und ich kann meiner Mutter und meinem Bruder endlich ein Lebenszeichen senden. Wir telefonieren in der Fjällstation ausgiebig über WhatsApp. Zuerst ist mir meine Mutter ziemlich böse, doch schnell überwiegt die Erleichterung. Dann verschwinde ich erst einmal für eineinhalb Stunden in der Dusche und reinige jede einzelne Poore meines Körpers dreifach.

Mittags brauche ich noch brav meine letzten Vorräte auf. Abends gönne ich mir ein köstliches veganes Curry aus dem Restaurant der Station. Das Gefühl, nach so vielen Tagen wieder eine frisch gekochte Mahlzeit mit Gemüse und Gewürzen zu verzehren: Unbeschreiblich. Mein Körper saugt alles auf wie ein Schwamm.

Schön wird es heute nur in der Rückschau

Gurken-Tränen

So geht das noch mindestens drei Tage lang, bis ich mich physisch regeneriert habe. Einen solchen Mangel kennen wir in der westlichen Welt eigentlich nicht, da wir jederzeit und überall Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln haben – mehr als wir brauchen und als gesund für uns ist.

Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, aber es ist spannend, zu sehen, was es mit meinem Körper macht: Ich nehme auf der Wanderung um die fünf Kilo ab, obwohl ich futtere wie ein Scheuendrescher. Das erste Stück Räucherlachs und das erste gekochte Ei, die ich beim Frühstück am Folgetag zwischen die Finger bekomme, sind eine Offenbarung.

Und sad but true: Beim ersten Biss in ein frisches Stück Gurke kommen mir Freudentränen.

Verfasst von:

Hallo! Mein Name ist Daniela. Ich arbeite im Marketing und lebe in München. Wenn ich nicht gerade arbeite oder reise, übe ich traditionelle Kampfkunst, Yoga oder mache Wanderungen in den bayerischen Voralpen. Schön, dass du hier bist und Teil meines Weges sein möchtest.

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