Auch an Tag fünf meines Kungsleden-Abenteuers beschenkt mich die schwedische Wildnis mit endlosen grünen Tälern und majestätischen Bergen. Hinter jeder Weggabelung wartet eine neue Überraschung – von einer bezaubernden Sami-Siedlung bis zum Schmieden neuer Trail-Freundschaften in der Geborgenheit der Singi-Hütte. Doch auch dieser Tag kommt nicht ohne Herausforderungen: Regen kündigt sich an und die Zeit drängt.
Wenn der Himmel die Schleusen öffnet
Am Morgen der fünften Etappe stehen wir alle noch früher als gewöhnlich auf, denn: Am Nachmittag soll es regnen. Wir sind uns einig: Die Tagesetappe möchten wir unbedingt vorher hinter uns bringen.
Meine Kleidung ist im Trockenraum der Hütte leider in der kurzen Zeit noch feucht geblieben. Jetzt ist Pragmatismus gefragt: Ich packe die nassen Teile kurzerhand in eine Plastiktüte und verstaue sie in einem separaten Fach meines Rucksacks.
Sami-Idylle im Tal
Die heutige Etappe hält kurz vor der STF-Hütte in Singi ein besonderes Highlight bereit: eine Sami-Siedlung, eingebettet in ein saftig grünes Tal. Der Bilderbuch-Anblick ist so friedlich, dass ich mich kaum sattsehen kann. Die Sami sind als indigenes Volk tief mit der Region verbunden. Ihre Kultur, Rentierwirtschaft und Lebensweise haben diesen Teil Schwedisch-Lapplands über Jahrhunderte geprägt.
Während ich fotografiere, wird mir bereits klar, dass kein Bild diese Magie wirklich einfangen kann. Ein spontanes Dankgebet steigt in mir auf – für diesen Moment, die Natur und die Verbundenheit mit dem kulturellen Erbe dieser wundervollen Region.
Unser Plan geht perfekt auf: Das schwedische Vater-Sohn-Duo und ich treffen fast zeitgleich in der gemütlichen Singi-Hütte ein. Eine freundliche, gutaussehende junge Frau mit einem zuckersüßen Hundewelpen heißt uns herzlich willkommen und gibt uns die obligatorische Einweisung.
Wenn der Himmel die Schleusen öffnet
Wenig später bricht die Sinntflut über Singi herein. Der schwedische Himmel öffnet seine Tore und ergiest sich in Sturzbächen über der Natur. Sogar der Weg zum Plumpsklo, den ich aufgrund des Regens in Flip-Flops begehe, wird zur echten Herausforderung. Trotzdem gibt es Menschen die unter diesen Bedingungen lieber zelten, als sich in der STF Hütte einzuquartieren, in der anfangs sogar noch Betten frei sind.
Im Laufe des Nachmittags retten sich dann immer mehr bis auf die Knochen durchnässte Wandernde in die Gemeinschaftsküche. Der Trockenraum beginnt überzuquillen und mehr als unangenehm zu riechen. Die Moskitos in der Hütte freuen sich über ein unerwartetes Festmahl.
Nach dem frühen Start mache ich am Nachmittag erst einmal ein Nickerchen. Im Zimmer mit mir: Die beiden deutschen Mädels. Später gesellen sich noch zwei ruppige Finninnen zu uns. Mein erster Eindruck: Die finnische Sprache hat mit Schwedisch herzlich wenig zu tun und ich verstehe kein Wort. Ich meine russische Einflüsse herauszuhören. Die Art der beiden wirkt zunächst distanziert und barsch, im direkten Kontakt sind sie tatsächlich aber sehr freundlich.
Abwarten und Whiskey trinken
Während wir uns ausruhen, steigt in der Gemeinschaftsküche eine Schweden-Party: Vater und Sohn schleppen eine stattliche Glasflasche mit Whiskey im Gepäck mit sich herum, die sie täglich ein Stück weiter leeren. Hinzu gesellt sich ein Schwede, dessen kleiner Zehennagel sich aufgrund zu enger Wanderschuhe abgelöst hat. Da Umkehren offenbar keine Option für ihn ist ist, schleppt er sich humpelnd den Kungsleden entlang. Er wird Teil unserer Trail-Crew und wir nennen ihn liebevoll „the guy with the toe“.
Die Schweden und der Alkhohol sind eine faszinierende Verbindung. Da achten wir alle penibel darauf, kein Gramm zu viel im Wanderrucksack mit uns zu tragen, aber eine +1 Kilo schwere Flasche Alkohol scheint für manche als Ausrüstungsgegegenstand gleichwertig mit einem paar guter Wanderschuhe zu sein.
Good to know: In Schweden ist der Verkauf von Alkohol streng reglementiert: Getränke mit einem Alkoholgehalt von über 3,5 % sind ausschließlich in den staatlichen „Systembolaget“-Läden und in Restaurants erhältlich. Die Preise sind horrend und die Öffnungszeiten der Verkaufsstellen sehr limitiert.
Das motiviert Reisende gut zu planen und ihre bevorzugten Getränke mitzubringen. Und die Schweden entweder selbst zu brauen, oder auf Kurztrips in benachbarte Länder einzufallen, nach Herzenslust zu konsumieren und sich zu bevorraten.
Es wird laut und lustig, aber ufert nicht aus. Später gesellen auch wir uns in die Küche und essen gemeinsam zu Abend. Mein Highlight: Eine Packung deliziöse Instant-Gnocchi Formaggio, die ich mir in der Butik der vorigen Hütte mitgenommen habe. Auf so einer Wanderung weiß man viele kleine Annehmlickeiten auf einmal wieder ganz anders zu schätzen.
Die deutschen Mädels, eine weitere Reisende aus Zürich und ich gesellen uns zusammen, während die trinkende Schweden-Truppe den Nebentisch belegt. Es ist spannend zu sehen, wie sich am Ende doch jede:r sicherheitshalber erst einmal zur eigenen Nation hin orientiert. Die Ausnahme: Ein Italiener, der in Helsinki lebt, pendelt zwischen unseren Tischen hin und her und bemüht sich aktiv, ein Gleichgewicht in der Gruppe herzustellen.
Schwedische Geselligkeit
Über Schwedische Introversion könnte ich ein ganzes Buch füllen. Für mich hat sich durch diesen Trip einmal aufs Neue bestätigt, dass sie anfangs nicht so aus sich herausgehen, wie andere Nationen das vielleicht tun.
Das große Aber: Wenn man sie einmal für sich gewonnen hat, tauen die Schweden meiner Erfahrung nach auf und sind die angenehmsten Menschen. Das ist natürlich eine wahnsinnig subjektive Wahrnehmung und soll bitte auch so verstanden werden.
Wir Deutschen sind ja eigentlich auch nicht dafür bekannt, besonders gesellig zu sein. Aber die Schweden genießen es meiner Erfahrung nach sogar, dass wir sie mit unserer Art etwas aus ihrer Schale herauslocken.
Ein plakatives Beispiel ist das Vater-Sohn-Gespann, das mit uns auf Tour ist. Zu Beginn höre ich sie noch schimpfen, wie viele störende Ausländer auf dem Kungsleden unterwegs sind – sie ahnen nicht, dass ich Schwedisch spreche.
Am Ende der Tour, winken sie mir bei zufälligen Begegnungen entlang des Weges schon von Weitem freudig entgegen, leihen mir ihren Mückenschutz und helfen mir sogar in einer akuten Notsituation. Cliffhanger alert – mehr dazu: im nächsten Artikel.
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