Endlose Serpentinen, die sich durch eine der spektakulärsten Landschaften der Welt schlängeln. Von Nebelschwaden umhüllte Karstgipfel, schroffe Felsformationen, steil abfallende Schluchten, die in tiefe Täler münden. Der Wind trägt den Duft von Freiheit und Abenteuer. Willkommen auf dem Ha Giang Loop, einem der großen Motorrad-Abenteuer Südostasiens!
Was als aufregende Reise durch Vietnams wilden Norden beginnt, entpuppt sich für mich schnell als Achterbahnfahrt der Emotionen. Die unglaubliche Schönheit der Natur, das Freiheitsgefühl auf zwei Rädern und das zaghaft freundliche Lächeln der Einheimischen aus den Bergdörfern stehen in starkem Kontrast zu den Absurditäten des Backpacker-Tourismus.
Spektakuläre Aussichtspunkte wechseln sich mit Karaoke-Lärm ab, berührende kulturelle Begegnungen mit dem fragwürdigem Verhalten westlicher Party-Backpacker. Auf dem Ha Giang Loop durchlebe ich vier Tage voller Überraschungen, Nervenkitzel und nachdenklicher Momente.
Von Sapa nach Ha Giang
Nach einem letzten chaotischen Pho-Frühstück im Fansipan Terrace mache ich mich mit Sack und Pack auf zum Lustig Hostel. Heute geht es mit dem Bus nach Ha Giang! Für die kommenden vier Tage werde ich als Beifahrerin mit einem Easy Rider den weltberühmten Ha Giang Loop erkunden.
Die Tour habe ich über das Unternehmen QT Motorbikes & Tours gebucht. Eine Empfehlung des Lonely Planet. Ehrlich gesagt war QT nur meine zweite Wahl, nachdem das ebenfalls im empfohlene Unternehmen Nomadders mir eine Absage erteilt hatte: Sie gehen in die Winterpause. QT hatte mit den kühlen Temperaturen im Dezember hingegen kein Problem. Ein erstes Warnsignal?
QT hat mir den 6-stündigen Bus-Transfer von Sapa nach Ha Giang organisiert. Der Bus würde mich am Lustig Hostel in Sapa einsammeln. Mit einem Bananenbrot to-go im Gepäck mache ich mich also auf den Fußmarsch den Berg hinauf, wo sich das Hostel befindet.
Pick-up Point: Lustig Hostel
In der Lobby des Hostels ist es schön warm und die Lady an der Rezeption empfängt mich sehr freundlich. Ich möchte eigentlich nur einen Kaffee für umgerechnet 0.80 Cent trinken. Und lasse mich überzeugen, für 2.50 Euro das gesamte Frühstücksbuffet zu buchen. Upselling? Gelungen! Damit kann ich mir so viel guten Filterkaffee mit Kuhmilch nachfüllen, wie ich möchte und mir nach der leichten Frühstücks-Suppe im Fansipan Terrace, die nach der halben Stunde Aufstieg mit vollem Gepäck schon wieder verbrannt ist, noch etwas Toast, Ei und Obst nehmen.
Während ich dasitze und auf meinen Bus warte, höre ich die lauten Gespräche junger Backpacker mit, die im Hostel zu Gast sind. Es geht um Arbeit, Inflation, Krieg. All die Dinge, von denen ich in den vier Wochen meiner Reise Abstand nehmen möchte. Ich bin genervt und mache die Ohren zu.
Erste Fragezeichen
Dann steuert ein junger Mann voller Selbstbewusstsein auf die Rezeptions-Lady zu und verkündet lautstark seinen Plan, alleine und spontan auf den Fansipan zu steigen. Die Uhr zeigt 9:30. Nur geübte Bergsteiger schaffen es bei frühem Start, den Auf- und Abstieg auf Vietnams höchsten Berg an einem Tag zu bewältigen. Geführte Touren umspannen meist 2-3 Tage. Abgesehen davon ist es nach häufigen, teils tödlichen Unfällen der letzten Jahre untersagt, ohne Guide auf den Fansipan zu wandern. Die toughe Hostel-Besitzerin macht eine klare Ansage: Den Fansipan alleine zu besteigen verbietet die Regierung. Sie hat die Government-Karte gezogen. Und die beendet in Vietnam jegliche Diskussionen.
Good to know: Um meinen eigenen Beitrag zur Aufklärung zu leisten, möchte ich an dieser Stelle auf folgenden BBC-Artikel verlinken und noch einmal ganz klar unterstreichen: Ohne Guide auf den Fansipan zu klettern ist lebensgefährlich und eine wirklich dumme Idee. Wer sich die geführte Tour nicht leisten kann oder will, soll bitte Zuhause bleiben. Oder einfach mit der Seilbahn auf den Gipfel fahren und die Aussicht genießen (wenn es denn wetterbedingt eine gibt).
Ich werde mich in den nächsten Tagen noch oft über das Verhalten junger Backpacker in Vietnam wundern und ärgern. Die Situation in der Lobby ist ein Vorbote dessen, was noch auf mich zukommt. Auch wenn ich dadurch vermutlich alt und verkniffen klinge: Den jungen Leuten heute steht die Welt offen. Sie haben das unglaubliche Privileg in ferne Länder zu reisen und dürfen prägende Erfahrungen sammeln. Doch manche können mit diesem Privileg offensichtlich nicht umgehen. Sie sind zu unreif, um die nötige Verantwortung für sich selbst und andere wahrzunehmen. Es fehlt an kultureller Sensibilität. Doch nicht genug damit, dass sie den Einheimischen vor den Kopf stoßen. Oft fällt das nicht groß auf, da die Leute es aus Höflichkeit nicht thematisieren und darüber hinweg sehen. Sie bewegen sich mit einer Arroganz und Selbstverständlichkeit durch fremde Länder, über die sie sich kein bisschen informiert haben. Und bringen sich selbst und andere damit in Gefahr.
Die Hölle sind die anderen
Mit einer Verspätung von einer Stunde taucht auf einmal ein gehetzter Taxifahrer in der Lobby auf und kutschiert mich in Windeseile zum Busbahnhof von Sapa. Warum ich nun extra zum Lustig Hostel gestapft bin? Noone knows. Unsere Kommunikation beschränkt sich auf das Nötigste: Ha Giang? Yellow one! Er deutet auf den bereitstehenden gelben Bus und ich spurte dorthin. Der Fahrer des Überlandbusses ist super lieb und der Bus sogar noch besser ausgestattet, als der vorige.
Das Problem sind auch hier die Touris, die mit mir an Bord gehen. Ich kann es nicht beschönigen, denn sie benehmen sich einfach unmöglich. Eines muss ganz klar gesagt sein: Egal welchen Job ihr habt, als Europäer seid ihr in Vietnam reich. Und damit sollte eine gewisse Verantwortung einher gehen. In Sichtweite aller an den Straßenrand zu pinkeln, weil man die 11 Cent (!!!) für die Dame, die die Raststätten-Toiletten reinigt, nicht ausgeben möchte, ist bodenlos. Vor allem, wenn man danach in ebendiese Toilette geht, um sich die Hände zu waschen. Ich traue meinen Augen nicht, als ich dieses Szenario bei einer Pause aus dem Busfenster heraus beobachte.
Bereits nach den ersten 2 Stunden Fahrt ist unser Bus zugemüllt. Backpacker schmeißen benutzte Taschentücher und zerbröselte Chips einfach auf den Boden zwischen den Betten. Ich kann nicht anderes als klammheimlich alles in eine Mülltüte zu packen und ihnen diese als stumme Botschaft aufs Bett zu legen. Ich schäme mich zutiefst für meine Mitreisenden und möchte auf keinen Fall, dass der nette Busfahrer die Situation zu Gesicht bekommt.
Ich finde kein adäquates deutsches Wort, das für mich ausdrückt, wie diese Menschen sich verhalten. Mir kommt oft das englische Wort entitled in den Sinn. Ich war mit Anfang 20 für ein dreimonatiges Praktikum bei meinem damaligen Arbeitgeber in Malaysia. Auch ich war unreif und habe mich im Rückblick nicht immer richtig verhalten. Dennoch kann ich eines sagen: Ich war immer demütig und dankbar dafür, in diesem Land am anderen Ende der Welt zu Gast sein zu dürfen, Zugang zu einer so wundervollen Kultur zu bekommen und dafür, dass die Menschen sich so gut um meine Bedürfnisse und Sicherheit gekümmert haben.
An’s House
Abgesehen von diesen Ärgernissen ist die Fahrt nach Ha Giang ein Highlight: Eine asiatische Bilderbuch-Landschaft zieht am Fenster vorbei. Ich kann mich gar nicht satt sehen am vietnamesischen Landleben. Unser Bus fühlt sich überdimensional groß und irgendwie dekadent an. Er zieht Aufmerksamkeit auf sich, als wir durch die Dörfer fahren.
Zu meiner Freude wird es immer wärmer. Es hat 20° und die Sicht klart auf. Welch eine Wohltat nach der klirrenden Kälte, Dunkelheit und dem Dauernebel von Sapa! Einige brandneue Häuser wirken inmitten bescheidener Verhältnisse seltsam entrückt. Ich lese in einem Buch über Vietnam, dass die Regierung sich wohl aktiv darum bemüht, die Landbesitzer durch finanzielle Entschädigung dazu zu bewegen, ihre Grundstücke aufzugeben und sich Jobs in Industriebetrieben im Umkreis großer Städte zu suchen. Das soll der Modernisierung des Landes dienen und erklärt den irgendwie deplatzierten Reichtum inmitten einfacher Behausungen.
Nach einem kurzen Zwischstopp im Büro von QT Motorbikes in Ha Giang, fährt mich einer der Easy Rider weiter zu An’s House – meinem Homestay für die Nacht vor Tour-Beginn. QT bietet zwar eine kostenlose Übernachtungsoption im eigenen Hostel. Nachdem ich die Bewertungen gelesen habe, entscheide ich mich jedoch, lieber Geld zu zahlen und dafür eine saubere und vernünftige Unterkunft zu haben.
Die Übernachtung in An’s House um die Ecke kostet mich schlappe 9 Euro. Für weitere 5 Euro wird mir ein fürstliches Abendessen vorbereitet, das genau auf meine Ernährungsbedürfnisse als Pescetarierin abestimmt ist und welches ich mit zwei sympathischen französischen Mitreisenden teile. Ich schlafe auf einem Futon am Boden. Außer diesem, einem großzügigen Moskito-Netz und einem Beistell-Tischchen ist das kleine Zimmer leer.
Die Unterkunft ist ein traditionelles zweistöckiges Holzhaus auf Stelzen – mit einer simplen aber bestens funktionierenden heißen Dusche, einem Hausaltar, Schiebetüren und verträumtem Blick auf die umliegenden Felder. Alles ist sehr einfach aber mit Liebe gestaltet. Die Unterkunft bietet absolut alles, was ich für diese Nacht brauche.
An ist eine warmherzige, engagierte Frau und ich beginne zu bereuen, dass ich die Ha Giang Loop Motorrad-Tour nicht über sie gebucht habe. Ich hätte ihr Business im Nachhinein wahnsinnig gerne unterstützt. Sollte ich eines Tages nach Vietnam zurückkehren, werde ich den Loop noch einmal über diesen Homestay organisieren lassen. Meine Zeit in An’s House war knapp bemessen aber wunderschön. Ich habe mich dort wahnsinnig gut umsorgt gefühlt.
Nach einem kurzen Plausch am Morgen, organisiert mir An einen Fahrer zu QT Motorbikes. Nebenbei stelle ich fest; Heute ist Weihnachten. An hat die Lobby entsprechend dekoriert. Ich mache Bilder davon und versende sie als Weihnachtsgrüße an Freunde und Familie. Dann beginnt meine 4-tägige Motorrad-Tour.
Der erste Tag – 100 Kilometer
Der Check-in bei QT läuft wie eine gut geölte Maschine. Das inkludierte Frühstück ist jedoch bereits ernüchternd und zeigt, dass bei diesem Tourenanbieter sehr kostenoptimiert gearbeitet wird. Eine lausigere Instant-Version der guten Pho-Suppen ist mir auf meiner 4-wöchigen Vietnam-Reise nicht begegenet. Und das wo es in Vietnam doch an jeder Staßenecke für kleines Geld köstliche Suppen gibt!
Ich lerne andere Reisende kennen, die mit mir an der Tour teilnehmen und mit denen ich die folgenden Tage durch Höhen und Tiefen gehen werde: Zwei Belgier, Luca und Anthony, die alleine reisen, ein ebenfalls belgisches Pärchen und ein Kanadier namens Andrew. Ich notiere mir an diesem Abend in meiner App, dass der Kontakt mit dem Paar, Bart und Jen der einzige ist, der sich für mich authentisch anfühlt. Inuition ist eine erstaunliche Gabe: An diesem ersten Eindruck wird sich bis zum letzten Tag nicht ändern.
Nachdem wir die Verträge unterzeichnet haben, gibt es Helme und Schienbeinschoner. Das Equipment passt überhaupt nicht und ist von schlechter Qualität. Dass das vereinzelt einmal bei einem Grab-Fahrer vorkommt, toleriere ich. Dass es bei einer Tour-Company passiert, der ich mehrere Hundert Euro für meine Sicherheit zahle, ehrlich gesagt nicht.
Mein Easy Rider ist dafür ein Goldschatz. Zwar spricht er kein Wort Englisch, doch er ist einer der erfahrensten und sichersten Fahrer der ganzen Gruppe. Ich spüre auch ohne Worte großes Vertrauen zu ihm. Er ist schon etwa älter, hat wie ich später erfahre Familie und trägt einen Overall mit dem Logo der staatlichen Telekommunikationsfirma Viettel. Vermutlich arbeitet er für diese, wenn er gerade keine Tourist:innen über den Loop kutschiert.
Im Gegensatz zu den jüngeren Fahrern, die sich Rennen miteinander liefern und die Mädels anflirten, ist er grundsolide. Ich spüre, dass er ein hohes Ansehen geniest. Er ist eher ruhig und steht oft abseits der anderen Fahrer um zu telefonieren, vermutlich mit seiner Frau. Mein Leben hätte nicht in besseren Händen liegen können. Ich gebe ihm am Ende der Tour ein persönliches Trinkgeld, das fast so hoch ist wie der Tourpreis. Einfach weil er es verdient hat. Und: Ich habe gelesen, dass die Fahrer am allerwenigsten von dem Geld abbekommen. Das meiste scheint sich der wohlhabende Inhaber aus Hanoi in die eigene Tasche zu stecken. Und das obwohl die Fahrer letztlich den härtesten Job haben und die größte Verantwortung tragen.
So it begins
Erst einmal geht es vom QT Office zum Buffalo Hostel, wo wir mit einer anderen Gruppe zusammen treffen, die mit uns gleichzeitig auf dem Loop unterwegs sein wird. Wir treffen uns allerdings nur Abends in den Unterkünften. Tagsüber wird darauf geachtet, dass wir in unserer kleinen Teilgruppe von circa zwölf Leuten bleiben. Im Hostel gibt es eine kleine EInführung an einer großen Karte, in der wir erfahren, wie viele Kilometer wir pro Tag zurücklegen, wo wir übernachten und welche Sehenswürdigkeiten die einzelnen Etappen bereithalten.
Dann werden wir in die Untergruppen eingeteilt – zu meiner Freude bin ich in derselben wie das belgische Pärchen. Unser Gruppenleiter ist Scott, ein beleibter Vietnamese, der stets wie ein kleiner Pascha im Hintergrund thront und sich nie so richtig in die Karten schauen lässt. Ich gebe es zu: Er ist mir unsympathisch. Ich habe das Gefühl, seine Freundlichkeit ist aufgesetzt. Er tut nur das Allernötigste: Außer der gelegentlichen Ansage, wie lange wir wo stoppen, gibt er keine Hintergründe über Kultur, Land und Leute. Von einem Reiseleiter hatte ich mir mehr erhofft. Dafür schiest er sich Abends mit Selbstgebranntem ins Happyland. Wäre er mein Fahrer gewesen, mir hätte der Restalkohol, mit dem er jeden Morgen aufs Motorrad stieg, Sorge bereitet.
Good to know: Lasst mich kurz nachholen, was Scott leider versäumt hat, und euch ein paar kurze Infos zum Ha Giang Loop geben, bevor es losgeht. Der Loop beschreibt einen Roadtrip, der meist in der Stadt Ha Giang startet und endet und in Etappen durch das Dong Van Karstplateau führt.
📍 Lage: Provinz Ha Giang, nördliches Vietnam, nahe an China, 250km geteilte Grenze mit der Provinz Yunnan
🛵 Länge: Je nach Route zwischen 350 und 400 km
⏳ Dauer: 3–5 Tage 🌏 Kultur: Ha Giang ist Heimat von 17 ethnischen Minderheiten, darunter die Hmong, Dzao, Tay, Hoa und Lolo. Ihre einzigartigen Traditionen, Märkte und Trachten lassen sich auf dem Loop hautnah erleben.
💡 Highlights: Das Dong Van Karst Plateau wurde von der UNESCO 2015 zum Global Geopark ernannt. Die Strecke über den Ma Pi Leng Pass von Yen Minh nach Meo Vac ist eine der spektakulärsten Straßen Südostasiens! Ein persönliches Highlight war für mich auch die Bootsfahrt auf dem Nho Que Fluss. 👉 Tipps: Der Fahrstil ist äußerst anspruchsvoll – mit engen Kurven, steilen Pässen und unkontrollierbaren Straßenverhältnissen. Ich rate vom Selbstfahren ab und empfehle dringend die Easy Rider Option. Wählt dabei einen seriösen Touren-Anbieter und achtet auf den Zustand des Equipments. 🎒 Packliste: Warme Kleidung (Mütze, Schal, Mundschutz, Handschuhe, lange Unterwäsche, Funktionskleidung, Windstopper, Wanderschuhe), Regenschutz, Erste-Hilfe-Kit, Sonnencreme, Snacks
Erste Hilfe auf den ersten Metern
Schnell wird klar: Die Straßenverhältnisse sind verrückt. Das Fahren auf diesen Straßen ebenfalls. Und noch verrückter scheinen mir die Ausländer:innen, die meinen, hier selbst fahren zu können. Es dauert nicht lange, da kommen wir zum ersten Unfall: Aus einer indonesischen Männer-Gruppe ist einer in der Kurve gestürzt und hat sich sein Knie bis zum Knochen herunter aufgeschürft.
Wie gut, dass ich mein Erste-Hilfe-Kit griffbereit habe! Es kam schon oft zum Einsatz, allerdings nie bei mir selbst. Nachdem sonst niemand einschreitet, eile ich zur Hilfe, desinfiziere die Wunde und verbinde sie. Er muss es noch einmal anschauen lassen, aber so kommt er erst einmal weiter. Niemand spricht Englisch aber die Jungs kommen vor lauter Dankbarkeit gar nicht mehr aus dem Verbeugen heraus. Auch in meiner Gruppe genieße ich nun höchstes Ansehen. Scott bedankt sich bei mir. Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob er als Gruppenleiter nicht eigentlich eine Ersthelferausbildung haben sollte. Mich beschleicht das Gefühl, dass man ein echtes Problem hat, wenn man sich auf unserer Tour eine Verletzung zuzieht.
Abgesehen von diesem Zwischenfall macht die Fahrt mir irrsinnigen Spaß. Ich liebe es Beifahrerin zu sein. Manchmal macht mir das fahren mehr Freude, als die Stopps, die wir einlegen. Ich liebe die Viewpoints, die wir ansteuern, wegen der dramatischen Aussichten auf die wohl beeindruckendsten Landschaften, die diese Erde zu bieten hat. Doch nachdem wir Fotos gemacht und uns einen Kaffee genehmigt haben, ziehen sich die Stopps teilweise endlos in die Länge.
Es wird laute Musik aus Boxen gespielt, die überhaupt nicht in dieses überwältigende landschaftliche Setting passt. Und ein Federball herumgekickt. Ich bekomme schnell mit: Diese Tour ist voll und ganze auf Mittzwanziger und Party-Backpacker ausgerichtet. Die sich teilweise genauso egozentrisch benehmen wie die Leute, denen ich im Bus nach Ha Giang begegnet bin. Das belgische Pärchen und ich sondern uns stets ein wenig ab, fotografieren uns gegenseitig und unterhalten uns. Wir merken recht schnell, dass wir auf einer Welle sind, weil wir das Gleiche suchen: ein authentisches Erlebnis.
Lung Khuy Cave
Das Sightseeing-Highlight dieses ersten Tages ist der nicht unanstrengende Aufstieg zur Lung Khuy Höhle, die mit imposanten Stalagtiten und Stalagmiten beeindruckt. Ein Abschnitt darin ist so niedrig, dass wir auf unserem Hosenboden eine Art natürlicher Rutsche hinunter gleiten und dann auf allen Vieren wieder hinauf krabbeln müssen.
Bevor es zur Unterkunft für die Nacht, dem Hlup Homestay geht, stoppen wir in einer Werkstatt, in der nach traditioneller Methode Kleidung aus Hanf gewoben und eingefärbt wird. Der Besuch des Hemp House ist ein sehr eindrückliches Erlebnis. Ich bin faziniert von den hart arbeitenden Frauen und kaufe ein paar handgefertigte Geldbörsen, um sie zu unterstützen.
Zum Abendessen gibt es gute und vielseitige Speisen. Gut, dass sie solide sind, denn es werden für die folgenden vier Tage mit geringfügiger Variation die gleichen bleiben. Reis ist die Basis, dazu gibt es einen Standard an frittierten Frühlingsrollen, Kartoffeln, Tofu, Salat- und Gemüsebeilagen. Auf meine Ernährungsbedürfnisse wird Rücksicht genommen. Ebenso gibt es ausreichend Auswahl für die Fleischesser der Gruppe. Auch beim Essen arbeitet QT sehr kostenoptimiert: Die Gerichte werden für unsere Großgruppe vorproduziert und wie am Fließband ausgegeben.
Welcome to happy water town!
Der wahre Wahnsinn beginnt allerdings nach dem Essen. Die Reiseleitung heißt uns Willkommen in happy water town und ab hier geht es abwärts: Der Abend startet und endet mit einem Trinkgelage, von dem ich mich bereits sehr früh zurückziehe. Nicht nur, dass es nach Sonnenuntergang bitterkalt wird und es keinerlei Vorkehrungen gibt, um uns warm zu halten: Es wird ein Karaoke-Kreischkonzert losgetreten, das bis 22:00 kein Ende findet.
Musik dröhnt aus überdimensionierten Boxen, die mich regelmäßig aus dem Halbschlaf heben. Der überhaupt nur durch die Ohrenstöpsel meiner lieben holländischen Reisefreundin aus Sapa möglich ist, die sie mir beim Abschied als Geschenk überlassen hat. Im Laufe der nächsten Tage avancieren die kleinen Schaumstoffteile, von denen ich am Ende leider eines verliere, zu meinen persönlichen Lebensrettern.
Ich fühle mich isoliert, bringe es aber auch nicht übers Herz, mich dazu zu gesellen. Das Verhalten unserer Gruppe steht im furchtbaren Kontrast zur anmutigen, ehrwürdigen Natur, die uns umgibt und dieser einzigartigen Erfahrung. Ich schäme mich vor den Einheimischen, die hier lediglich als Bedienstete fungieren, sich wie Statist:innen im Hintergrund halten und womöglich denken, dass alle Menschen im Westen sich für so ein stumpfsinniges Unterhaltungsprogramm begeistern.
Der zweite Tag – 180 Kilometer
Irgendwie finde ich dennoch über acht Stunden erholsamen Schlaf. Der letzte Karaoke-Song verebbt gegen 22:15. Die permanente Kälte und der Fahrtwind fordern ihren Tribut: Meine Nase ist blockiert, meine Lymphe arbeitet. Noch vor dem Frühstück werfe ich die erste Schmerztablette ein.
Mich erwartet das selbe Frühstück wie zu Beginn der Tour im Büro von QT Motorbikes: Instant-Ramen, Instant-Kaffee und trockene Pfannkuchen ohne alles. Kurz bevor wir aufbrechen, muss ich zu meinem Leidwesen verhandeln, um eine Flasche Trinkwasser zu bekommen, die uns laut Tourenbeschrieb täglich zur Verfügung gestellt werden soll. Am Ende gelingt es mir, doch zunächst versuchen sie uns die Flaschen für extra Cash über die Unterkunft zu verkaufen. Mir geht es nicht ums Geld, sondern ums Prinzip. Durch meinen Protest erreiche ich immerhin, dass es an den Folgetagen keine Debatte mehr um das Thema gibt und die Flaschen von den Fahrern brav bereitgestellt werden.
Kurz nachdem wir zur heutigen Tagestour aufbrechen, wird uns ganz klar von Scott kommuniziert: Gestern war nur das Warm-up. Uns steht ein langer, anstrengender Tag bevor, an dem wir richtig Strecke machen müssen, um den Zeitplan zu halten. 180 Kilometer um genau zu sein. Unsere Easy Rider geben richtig Gummi, überholen einander und andere Verkehrsteilnehmer. Nicht nur einmal schließe ich die Augen, vertraue meinem Fahrer und meinem Schutzengel und hoffe einfach auf das Beste.
Doch so anstrengend die Tour sich auch gestaltet: Nie in meinem Leben habe ich schönere und beeindruckendere Landschaften gesehen. Mir kommen mehrmals die Tränen und ich bin völlig sprachlos. Die Sonne begrüßt uns zum Start dieses neuen Tages und wärmt uns mit ihren Strahlen. Ich schaffe es sogar die nervige Partymusik auszublenden, als ich mit Bart und Jen am ersten Aussichtspunkt mit einem frisch gebrühten Kaffee in der Sonne sitze und die beeindruckende Karstlandschaft auf mich wirken lasse. Meine Laune bessert sich immens und es gelingt mir immer besser, die anderen Reisenden einfach so zu akzeptieren, wie sie sind.
An der Grenze zu China
Unser erster Sightseeing-Stopp des Tages führt zum Lung Cu Flaggenturm. Der 30 Meter hohe Turm thront auf dem Gipfel des gleichnamigen Berges und befindet sich nur 6 km von der Grenze zu China entfernt. Als klarer Ausdruck von Nationalstolz ist er mit einer überdimensionierten vietnamesischen Flagge gekrönt.
Nach dem Mittagessen im Ethnic House im Ort Dong Van geht es über den berühmten Ma Pi Leng Pass weiter. Eines muss man Scott wirklich lassen: Er wählt die besten Aussichtspunkte abseits der Massen für uns aus. Ich kann nur staunen, als wir viel zu große Gruppen im Vorbeifahren passieren, die sich auf viel zu engen Aussichtsplattformen drängen.
Übertourismus ist auf dem Ha Giang Loop ein ernsthaftes Problem. Und wir befinden uns gerade wohlgemerkt in der Off-Season. QT umgeht die Großgruppen durch alternative Routen und Abkürzungen, eigene Homestays und weniger überlaufende Aussichtspunkte. Unsere Gruppe ist in Summe zwar auch nicht gerade klein, wenn wir alle zusammen kommen. Aber auf der Straße sind wir meist in unseren 10-12 Personen starken Untergrüppchen unterwegs, was sehr angenehm ist.
Fahrt durch ein Kriegsgebiet
Das verrückteste und gefährlichste, was ich auf all meinen Reisen je angestellt habe, ist ganz klar die Motorrad-Fahrt hinunter zum Nho Que Fluss (Sông Nho Quế). Dort machen wir eine idyllische Bootstour. Der Weg dorthin führt allerdings durch ein Kriegsgebiet.
Naja nicht ganz, eigentlich handelt es sich bei der Straße, die in Serpentinen steil zum Fluss abfällt, um eine offene Baustelle. In Deutschland dürfte man eine solche niemals betreten, geschweige denn befahren. In Vietnam wird das nicht so eng gesehen. Hier wird einmal quer eine Schnur über die Einfahrt gespannt, um den Verkehr temporär aufzuhalten. Und dann geht es los: über rutschigen Kies und Schlaglöcher, die so tief sind, dass ich es bevorzuge, unter enormer Anstrengung hinter meinem Easy Rider im Sitz zu stehen – statt permanent auf meinen Hintern hoch und herunter zu plumpsen.
Doch das ist noch die geringste Unannehmlichkeit: Auch das anspruchsvolle Terrain kann unsere Fahrer nicht vom Überholen abhalten. Am Abgrund entlang, an schwerfälligen Trucks vorbei. Und einmal sogar unter den Armen eines Baggers hindurch, ich mache keine Scherze. Meine Muskeln zittern vom verkrampften Festhalten. Zu Beginn bin ich noch peinlich darum bemüht, meinem Fahrer nicht zu nah aufzurücken oder ihn zu berühren, wenn es bergauf oder bergab geht. Ab diesem Zeitpunkt ist mir alles egal. Dass ich vor Ermüdung nicht irgendwann loslasse, ist ein Wunder. Ebenso ist es erstaunlich, dass wirklich niemand aus unserer Gruppe umkippt, ausrutscht oder fällt. Der einzige Verlust, den wir hinnehmen müssen, ist die Wasserflasche von Anthony, die sich irgendwann vom Gepäckträger verabschiedet.
Die Spritztour auf dem Fluss ist die Belohnung und wirkt dem abfallenden Adrenalinspiegel entgegen. Wir haben Spaß und machen tonnenweise schöne Bilder, als die Sonne hinter den steil aufragenden Felswänden langsam untergeht.
Bevor wir den Homestay für die heutige Nacht erreichen, stoppen wir noch einmal bei einem Supermarkt und decken uns mit Snacks ein. Ich versuche meinem Fahrer etwas auszugeben, doch er möchte nicht, dass ich für ihn zahle. Vielleicht versteht er mein Angebot auch einfach nicht so genau. Mein Plan geht insofern nach hinten los, dass ER mir stattdessen eine Packung Oreos und eine weitere große Flasche Wasser schenkt. Ich bin mittlerweile mit 3 Litern unterwegs!
Der letzte Kaffee-Stopp des Tages führt uns zu einem Campingplatz mit süßen Hundewelpen und leckerem Coconut Coffee. Dort wächst Hanf in rauen Mengen und die Einheimischen rauchen in ihrer Pause aus großen Bambusrohren. Eine junge Britin aus unserer Gruppe bekommt ein Bündel Marihuana geschenkt und nimmt es kichernd an. Niemand hinterfragt, ob es wirklich eine gute ist, Drogen in einem fremden Land mit sich zu tragen, in dem man die Gesetze nicht genau kennt.
Die Naivität verwundert mich. Auch wenn es um das allabendliche happy water geht, hinterfragt in unserer Gruppe niemand, was genau in den ettikettlosen Flaschen enthalten ist. Besonders verwunderlich, nachdem vor Kurzem erst Nachrichten von jungen Party-Tourist:innen um die Welt gegangen sind, die in Laos an einer Methanol-Vergiftung durch selbstgepantschten Alkohol gestorben sind.
Allabentliche Routine
Am Abend erwartet uns ein Homestay in den Bergen, das neu erbaut wurde und demselben Schema folgt, wie die anderen Unterkünfte. Mit dem Unterschied, dass es keinen Empfang gibt und die nächtliche Kälte einen Tiefpunkt erreicht. Dazu ist die Halbwärtszeit von Warmwasser in den Gemeinschaftsduschen frustrierend kurz. Mein persönlicher Triumph: Ich sichere mir eine Schlafkabine, die eigentlich zwei Betten enthält, ganz für mich alleine.
Die andere Hälfte unserer Gruppe kommt eine Stunde nach uns an, da sie von einem Erdrutsch ausgebremst wurden. Da hatten wir wohl Glück gehabt. Nach der Fahrt durch die Baustelle hatten sie den ebenfalls abenteuerlichen Weg zum Homestay hinunter in der Dunkelheit bewältigen müssen.
Der Abend verläuft nach derselben Routine wie der vorige und der folgende: Standarisierte Essensausgabe, happy water und Karaoke. Mit dem angenehmen Unterschied, dass es heute Abend ein Lagerfeuer gibt, um das sich die vietnamesischen Fahrer gruppieren. Bart, Jen und ich gesellen uns dazu. Wir sind die einzigen, die sich darum bemühen, dass die Gruppen sich durchmischen. Die Kontakt zu den Einheimischen suchen und etwas über ihr Leben erfahren möchten.
Gemeinsam um ein Lagerfeuer zu sitzen hat etwas Zusammenschweißendes. Jede:r möchte es einfach nur warm haben. Die jungen Fahrer sind in Flirtlaune. Was sich total harmlos äußert und für mich vollkommen in Ordnung ist. Eine flüchtige Berührung an der Schulter hier und ein kurzes Halten der Hände, um zu vergleichen wie kalt sie sind, da.
Wir kommunizieren trotz Sprachbarriere und genießen die Gesellschaft. Bart und Jen rauchen gemeinsam mit den Fahrern Tabak aus einem großen Rohr. Die Effekte sind verheerend und ich bin froh, das nur zu beobachten. Dennoch schenken wir der Truppe am Ende einen ganzen Sack voll Tabak, den wir für wenig Geld an einem Kiosk entlang des Weges kaufen. Ich fühle mich zwar nicht wohl damit, etwas zu schenken, das der Gesundheit der Menschen schadet, aber beteilige mich schließlich doch. Es scheint eine sehr pragmatische Möglichkeit, um den Fahrern neben dem Trinkgeld eine sofortige Freude zu machen.
Der dritte Tag – 90 Kilometer
Auch in dieser Nacht schaffe ich es, unglaubliche 10 Stunden Schlaf zu finden. Alle anderen sind wohl gegen Mitternacht schlafen gegangen. Ohne happy water hält man es in dieser Kälte definitiv nicht so lange aus. Es hat mich am Vorabend zwei dicke Decken und eine halbe Stunde gebraucht, bis meine Füße und Hände wieder Körpertemperatur hatten. Ich muss niesen und meine Nase ist dicht.
Wir starten heute erst sehr spät und der Tag zieht sich. Im Nachhinein fanden viele von uns, dass man die letzten beiden Tage auch gut hätte kombinieren können, da es sich stellenweise unnötig in die Länge zog, Wir machen viele Zwischenstopps an Punkten, an denen sich nicht ganz erschließt, warum wir anhalten, da die Aussicht nicht überwältigend ist. Vermutlich ist der einzige Grund, den Kaffee-Verkäufern, die sich an jedem Stopp wiederfinden, Kundschaft zuzubringen.
Ab und zu ist es möglich, mit Leuten aus unserer Gruppe gute Gespräche zu führen. Für den Großteil der Zeit finde ich es leider herausfordernd. Ich vermisse den Tiefgang. Die Konversationen laufen alle nach demselben Muster ab: Wie lange reist du? Wo warst du schon? Wohin gehst du als nächstes? So absehbar wie diese Fragen sind meist auch die Antworten. Ich höre irgendwann auf zuzuhören, als mir ein weiteres Mal die Vietnam Standard-Backpacking-Route rezitiert wird.
Hinzu kommt, dass ich mich immer wieder über das rücksichtslose Verhalten aufregen muss. Zum Beispiel, wenn britische Studentinnen ans Ende einer Klippe klettern und auf wackelige Steine steigen, um einen besonders spektakulären Schnappschuss für Instagram zu ergattern – obwohl 5 Meter weiter ein sicherer Punkt fürs Posieren mit einer Flagge eingerichtet wurde, der mindestens genauso tolle Aufnahmen ermöglicht.
Es gibt ehrlich gesagt Momente, in denen ich es kaum mehr aushalte. Ich sehne mich danach wieder alleine zu reisen, meiner eigenen Geschwindigkeit zu folgen und meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Außerdem muss ich mich dringend ein, zwei Tage erholen, um meine Erkältung loszuwerden, die mir von Stunde zu Stunde mehr zu schaffen macht.
Doch wenn wir fahren ist alles gut. Das Motorradfahren macht Spaß und hilft mir, den Kopf frei zu kriegen. Viele kleine Kuriositäten begleiten unseren Weg bis zum Lunch-Spot: Ein Schweinestall neben einer Toilette, auf Gepäckträger geschnallte lebende Nutztiere und kuriose LKW-Hupen, die mit fröhlichen Melodien eher Lust zum Tanzen machen, als Gefahr signalisieren.
Die Sehenswürdigkeit des heutigen Tages ist ein ehemaliges französisches Fort. An sich ist es nur eine Ruine, aber die Aussicht ist einmal wieder gigantisch und es macht Freude, die Wege dort zu erkunden, auf die alten Steine zu klettern und das umliegende vietnamesische Dortfleben zu beobachten. Und dabei unserer Chaos-Truppe für ein paar wohltuende Minuten zu entkommen.
Worst night ever
Bevor es zur Unterkunft in Du Gia geht, stoppen wir an einem kleinen Wasserfall. Klingt vielversprechend, ist jedoch unterwältigend für mich, da es sich wieder um einen Punkt auf unserer Karte handelt, an dem nur die Bedürfnisse von Party-Backpackern befriedigt werden. Diese liefern sich lustige Mutproben: Wer traut sich ins eiskalte Wasser? Wer führt dabei den spektakulärsten Sprung durch? Rund um den kleinen Pool befinden sich improvisierte Getränkestände, die aggressiv und erfolgreich mit Alkohol werben.
Ich versuche, das beste daraus zu machen, klettere mit einer kleinen separaten Gruppe auf den Wasserfall hinauf und helfe dem belgischen Pärchen dabei, Bilder von sich zu machen. Eigentlich sehne ich mich nur nach Ruhe. Meine Erkältung eskaliert, ich bin dauerhaft am Nase putzen und schniefen. Und ich habe Hunger: Aufgrund der heutigen Route gab es einen Brunch vor 12 Uhr und bis nach 19.00 werden wir kein Abendessen bekommen.
Hostel-Horror
Das Hostel der letzten Nacht ist das Schlimmste der ganzen Tour. Es ist komplett ausgebucht und wir werden mit einer Großgruppe aus Singapur zusammen gewürfelt. Ich habe absolut kein Problem mit einfachen Unterkünften. Aber hier fehlt jeglicher Sinn für Grundlegendes: Es werden keine Handtücher ausgehändigt und es gibt keine Schlappen für das Betreten der nach dem Duschen gefluteten Waschräume. Es gibt keinen Haartrockner und das Wasser ist durchgehend eiskalt. Um mir bei diesen Außentemperaturen nicht noch mehr den Tod zu holen, verzichte ich an diesem Abend notgedrungen auf das Duschen.
Der Abschuss
Das Schlimmste ist aber, dass es am letzten Abend wirklich alle darauf abgesehen haben, sich noch einmal richtig rauszuschießen. Die aggressiven Trinksprüche gehen schon los, als das lang ersehnte Essen endlich auf unseren Tischen steht. Mein Fahrer versucht mir unbeholfen zuzuprosten, was ich mit Wasser erwidere. Scheinbar war er gebrieft worden, das zu tun.
Scott verhält sich total übergriffig. Er geht um unseren Tisch herum und macht die Ansage, jede:r von uns MÜSSE heute Abend mit ihm trinken. Well, watch me. Ich reagiere einfach nicht und esse unbeirrt weiter, bis er beleidigt von dannen zieht. Ich glaube, meine Botschaft ist angekommen. Es mag nicht besonders höflich gewesen sein, aber ich bin einfach nur krank, müde und genervt.
Irgendwann habe ich alle Servietten am Tisch aufgebraucht und meine Nase ist so wund, dass sie bei jeder Berührung schmerzt. Als die Karaoke-Hölle startet und angekündigt wird, dass es danach in einen Pub weitergeht, verziehe ich mich direkt ins Bett. Ich bin sowas von raus. Dankbarerweise finde ich auch in dieser Nacht den erholsamen Schlaf, den ich so dringend brauche. Im Schlafen unter extremen Bedingungen gebe ich mir eine 10 von 10.
Der vierte Tag – 90 Kilometer
Am nächsten Morgen bin ich zusammen mit den Frauen, die unser Essen zubereiten als erste auf den Beinen. Auch wenn meine Beschreibungen hier anderes vermuten lassen, ist meine Laune durchweg gut. Ich schaffe es, die Erfahrung als Lektion zu sehen. Wann immer der Frust in mir aufsteigt, schreibe ich Notizen für diesen Beitrag hier in meine App, um die negativen Gefühle zu kanalisieren.
Ich mache das beste draus. Noch vor dem Frühstück spaziere ich den Fluss entlang und in das nahegelegene Dorf Du Gia. Freundliche Einheimische lächeln mich an, Kinder rufen mir hello entgegen. Bei einer netten Frau bestelle ich mir einen richtigen vietnamesischen Kaffee – der Gedanke an das Instant-Pulver, das mich im Hostel erwartet, fühlt sich wie ein Sakrileg an.
Beim Frühstück darf ich mir dann erst einmal die Suff-Geschichten vom Vorabend anhören. Es ist einfach nicht lustig. Die kreidebleichen Gesichter und von Übelkeit gebeutelten Körper zu sehen, ist das eine. Zu hören, dass einer der Easy Rider sturzbetrunken Motorrad gefahren und dabei mit einer jungen Französin auf dem Beifahrersitz gestürzt ist, das andere. Sie zeigt uns später am Tag ihre Blessuren am Knie. Es sieht übel aus und sie kann von Glück reden, dass nichts noch Schlimmeres passiert ist.
Als wir später losfahren, stoppt uns die Polizei und alle Fahrer müssen einen Alkoholtest machen. Mir rutscht das Herz in die Hose. Denn ganz Gewiss, haben die meisten noch ordentlich Restalkohol im Blut. Doch dieser Alkoholtest ist ein Witz: Alle pusten für maximal 3 Sekunden in das selbe Gerät – ohne dass das Mundstück gewechselt wird. Es ist unmöglich bei der kurzen Dauer realistische Werte zu messen. Ganz klar ist hier Bestechung im Spiel. Offiziell liegt das Alkohol-Limit im vietnamesischen Straßenverkehr übrigens auch bei 0 Promille.
Die Fahrt zurück nach Ha Giang führt durch einen spannenden lokalen Markt, den ich vom Rücksitz ausgiebig beobachten kann, da wir hinter einem LKW feststecken und zeitweise vom Rest der Gruppe abgeschnitten werden. Um wieder aufzuholen, gibt mein Easy Rider richtig Gas und ich kann nicht sagen wer von uns beiden mehr kindliche Freude dabei empfindet. Für einen kurzen Moment müssen wir uns beim Fahren unter Plastik-Capes verstecken, da es einen kleinen Regenguss gibt. Nach weiteren Aussichtspunkten und Lunch im selben Hostel, in dem wir in unserer ersten Nacht untergekommen sind, geht es zurück ins Buffalo nach Ha Giang.
Ich verabschiede mich mit einem großzügigen Trinkgeld und einer mit Google Translate vorgetragenen Botschaft von meinem lieben Fahrer. Sein vor Dankbarkeit strahlendes Gesicht und die herzliche Umarmung, werde ich nie vergessen. Wenige Dinge in meinem Leben haben sich je so 100% richtig angefühlt, als diesen Menschen finanziell zu unterstützen. In all dem Chaos, war er meine verlässliche Stütze und hat sich im Vergleich zu anderen extrem verantwortungsvoll verhalten. Der Mann hat einen wahnsinnig guten Job gemacht und es einfach verdient.
Im Buffalo Hostel gibt es ein T-Shirt zum Andenken und eine Portion gebratenen Reis – die zwar gut schmeckt, mir jedoch für die nächsten Stunden Unwohlsein beschert da viel zu fettig. Ich bin sowas von bereit, in den Nachtbus nach Ninh Binh zu fallen!
Ha Giang: Was bleibt?
Und so endet meine Reise auf dem Ha Giang Loop genau, wie sie begonnen hat: mit einer Mischung aus Faszination und Irritation. Die spektakulären Berglandschaften, die kurvenreichen Straßen und die Begegnungen mit den Menschen dieser Region haben mich tief beeindruckt. Doch ebenso unauslöschlich bleiben die chaotischen und manchmal absurden Momente des Backpacker-Wahnsinns, die mir vor Augen geführt haben, wie unterschiedlich Menschen reisen – und welchen Einfluss sie damit auf ihre Umgebung haben.
Was bleibt? Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass echte Abenteuer nicht nur in spektakulären Kulissen, sondern auch in den unerwarteten Erfahrungen liegen. Wenn mir der Ha Giang Loop eines gezeigt hat dann, dass Reisen definitiv immer auch eine Frage der Perspektive ist.
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