Vietnam’s Hauptstadt hat sich anfänglich so angefühlt, als hätte man mich hart aus meiner Komfortzone und mitten ins Leben hinein katapultiert.
Hanoi ist anstrengend, bisweilen unbequem und manchmal sogar frustrierend. Und gleichzeitig hat es mich unglaublich geerdet. Den geräuschreduzierenden Filter abgeschaltet, den ich bisweilen ganz gerne über mein Leben lege und mein stumm-gestelltes Mikrofon laut aufgedreht.

Vielleicht hatte Hanoi genau diese Aufgabe für mich: Mich aus meiner Blase herauszuholen und mich in Kontakt mit einem pulsierenden, chaotischen Universum zu bringen, durch das ich fünf Tage lang meine ganz persönlichen Wege finden durfte. Wie mir das gelungen ist? Kommt mit auf meine Reise und erfahrt es.
Die Landung
Ich bin bei meiner Ankunft am Noi Bai Flughafen in Hanoi gejetlagged und überfordert. Vietnam Airlines bietet zwar einen sehr guten Service. Doch trotz Sitz mit Beinfreiheit, für Flugzeugverhältnisse leckere vegetarische Mahlzeiten und gutes Inflight-Entertainment, döse ich auf dem Hinflug nur für zwei Stunden.
Nach der Landung stolpere ich erst einmal über mein eigenes Privileg: Der deutsche Reisepass ermöglicht es mir, ohne Visum ins Land zu spazieren. Ich muss kein Rückreise-Ticket präsentieren, keine einzige Frage beantworten. Mit genug Kleingeld für das Flugticket reist es sich als Deutsche spielend einfach ans andere Ende der Welt.
Als ich in der Ankunftshalle aufschlage, ist der Fahrer, den ich vorab über meinen Homestay organisiert hatte, nicht da. Mein Flug war verspätet, Immigration und Baggage Claim hatten sich in die Länge gezogen. Das war ihm dann wohl zu viel der Warterei gewesen.
Der Vorteil: Ich kenne nun den Preis für die Fahrt in die Innenstadt und habe etwas weniger Schwierigkeiten, mit den wartenden Taxifahrern zu verhandeln, die sich sofort auf mich stürzen als ich einen Schritt aus dem Flughafengebäude mache.
Good to know: Meine ersten zwei Amtshandlungen, wenn ich in einem neuen Land ankomme: 1. Bargeld abheben 2. SIM-Karte besorgen. In Vietnam hat mich die Karte von Viettel für 4-Wochen und 4 GB Datenvolumen umgerechnet 10 Euro gekostet. Zuerst wollte die Dame am Schalter mir 5-10 GB verkaufen. Mein Tipp: Checkt eure Handyverträge, die ihr zu Hause habt und geht gezielt mit der Info, wie viel Datenvolumen ihr braucht, auf die Verkäufer:innen zu.
Homestays: Vietnam hautnah
Homestays waren für mich die absoluten Game changer meiner Vietnam-Reise. Ich werde in meinen Blog-Beiträgen noch öfter darauf zu sprechen kommen und euch erzählen, wie genau wunderbare Gastfamilien meinen Aufenthalt durch ihre Offenheit, Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft bereichert haben.
An dieser Stelle sei gesagt: Homestays sind keine Geheimtipps oder verborgenen Juwele. Sie lassen sich über Filterfunktionen auf den gängigen Buchungsplattformen ausfindig machen. Ich habe minimal 9 Euro und nie mehr als 20 Euro pro Nacht gezahlt. Die Option ist also auch noch budgetfreundlich. Ein hervorragendes Frühstück war in 90% der Fälle inklusive.
Der riesen Vorteil: Alle Gastgeber:innen haben mir im Vorfeld aus eigener Initiative auf WhatsApp geschrieben und sich erkundigt, wann ich wie anreise und ob ich einen Transport-Service benötige. Oder ob sie mir das Zimmer für einen early check-in freihalten sollen, was im Falle einer Anreise mit dem Nacht-Bus Gold wert ist.
Ich habe mich als Alleinreisende dadurch wahnsinnig sicher und gut aufgehoben gefühlt. Ich wurde mehr oder weniger von Gastgeberin A über sorgfältig gebriefte Busfahrer zu Gastgeberin B weiter gereicht.
Und: Ihr lebt in wirklich authentischen Nachbarschaften, die sich meist in Nähe zu aber leicht abseits von touristischen Stadtvierteln befinden. Ich habe Hochzeiten und Beerdigungen miterlebt, sowie alte Männer, die sich morgens mit einem Plastikstuhl auf der Straße das Gesicht rasieren. Omas haben findig mittels Google Translate Konversation mit mir betrieben, während sie große pinkfleischige Pomelos von ihrer dicken Schale befreiten. Das sind die Momente die in Erinnerung bleiben.
Man muss allerdings damit leben, dass die Unterkünfte nicht den Komfort eines Hotels bieten. Es kann vorkommen, dass Betten hart sind, es keinen Aufzug, dafür viele steile Treppen gibt. Dass die Wände papierdünn sind und man das Gefühl hat, direkt auf der Straße zu schlafen. Dass manche Türen sich einfach nicht verschließen lassen. Dass es aus den Abgüssen riecht. Und in wirklich allen Duschen meiner Reise war der Wasserdruck sehr schwach und das warme Wasser nie ausreichend, um sowohl Haare als auch Körper zu waschen. Klimaanlagen sind oft vorhanden, aber keine Selbstverständlichkeit. Und viele wirklich traditionelle Häuser in den Bergen im Norden haben nicht einmal eine Heizung, wenn es im Winter eiskalt wird. Hier wärmt man sich an Feuerschalen.
Dafür hört man viele beeindruckende Geschichten ambitionierter Geschäftsfrauen, die sich mit dem Unterhalt der Homestays ein gutes Einkommen und die eigene Unabhängigkeit sichern.
Genau so eine Frau ist Stella, meine allererste Gastgeberin in Hanoi. Der Weg in ihr Apartment führt über eine enge Gasse, deren Eingang sich hinter einem Nagelstudio verbirgt. Über eine noch engere Treppe geht es in den ersten Stock eines typischen Hanoier Wohnhauses. Dann eröffnet sich eine Oase der Ruhe. Nicht umsonst nennt sich die Unterkunft „Tranquility Stay“. Ich werde am Tag meiner Ankunft von einem phänomenalen Gratis-Frühstück aus selbst gebackenem Sauerteig-Brot, Eiern und herrlicher Maracuja-Marmelade begrüßt.
Hanois Straßen
Da mein Zimmer noch nicht bezugsfertig ist, beschließe ich einen Spaziergang zum Hoan Kiem See zu machen und stürze mich in das Chaos von Hanois Straßen. Ich bin ein richtiger Glückspilz: Direkt an der ersten Straßenkreuzung bekomme ich schon die volle Ladung Hanoi in einer heißen Suppenschale serviert.
Ich erspähe das behelfsmäßig auf Englisch übersetzte Schild mit den Worten „Fish Noodle Soup“ neben dem eine ältere Frau mit voller Kraft in einem überdimensionierten Suppen-Bottich rührt. Daneben mehrere aneinander gereihte niedrige Tische, unter die kein Westler seine Beine bekommt. Dazu passend eine Reihe Plastik-Hocker im Miniatur-Format.
Als Asien-Erfahrene weiß ich: So muss der „real deal“ aussehen. Ich entschließe mich kurzerhand zu einem zweiten Frühstück und werde energisch neben den einheimischen Gästen auf die Stühlchen platziert.
Für umgerechnet 2 Euro bekomme ich eine köstliche Nudelsuppe mit lokalem Fisch serviert. Wir sitzen quasi auf der Straße – inmitten einer wuseligen Kreuzung, über die Motorräder in alle Himmelrichtungen preschen. Dazwischen eine Frau mit Strohhut, die Körbe voller Lebensmitteln über eine Stange auf der Schulter balanciert. Eine weitere wesentlich ärmere Frau sammelt direkt vor dem Pop-up Nudel-Imbiss Flaschenkapseln von Straße. Im Kontrast dazu verlorene Touristen, die verzweifelt versuchen, einen einigermaßen ruhigen Moment zur Überquerung der Straße abzupassen.
Ich bin absolut seelig und verliebe mich an Ort und Stelle in Vietnam. Asien fühlt sich für mich immer wie ein Nachhausekommen an. Ich sehe, wo es gutes Essen gibt und weiß, nach welcher Art von Imbiss ich Ausschau halten muss. Mit der fremden Währung habe ich keine Probleme. Mit dem Überqueren der Straße auch nicht – der Schlüssel ist: Trotz innerer Panik selbstbewusst loslaufen und auf gar keinen Fall stehen bleiben. Dann fließt der Verkehr um einen herum. Denn wirklich niemand will einen Ausländer anfahren und sich damit einen ganzen Sack voller Probleme einhandeln.
Dennoch möchte ich nichts beschönigen: Der Verkehr in Hanoi ist heftig. Mir schmerzt in den ersten Tagen der Kopf vom Einatmen der Abgase und dem Dauerlärm des Straßenverkehrs. Es gibt keine Tages- oder Nachtzeit, in der die Einwohner:innen nicht einem permanenten Motoren- und Hupkonzert ausgesetzt sind. Daneben scheint es keinerlei Regelungen für Baustellen zu geben. In Saigon habe ich sogar erlebt, dass nachts um drei Uhr auf einmal mit dem Presslufthammer gearbeitet wurde.
Vor kurzem erst hat Hanoi wieder den traurigen Titel der Großstadt mit der stärksten Luftverschmutzung weltweit erhalten. Es tut mir Leid, dass Menschen unter solchen Bedingungen leben müssen. Es ist eine enorme gesundheitliche Belastung und sie können sich vermutlich gar nicht vorstellen, dass es hierzu überhaupt eine Alternative gibt. Ich werde mich nie wieder über die volle Münchner Maxvorstadt zur Mittagszeit beklagen.
An entspanntes Spazieren ist hier nicht zu denken. Die Einheimischen sind sichtlich irritiert von uns Touris, wenn wir es versuchen. Für jede noch so kleine Distanz wird hier ein fahrbarer Untersatz genutzt. Diese Untersätze sind zu 99,9% Motorräder. Man muss ständig auf der Hut sein vor diesen kreuz und quer fahrenden Maschinen, die einen auch gerne Mal von vorne oder hinten auf dem Gehweg überholen. Zudem begleitet mich die Dauersorge, einen heißen Auspuff ans nackte Bein gedrückt zu bekommen, während ich selbst im Rushhour-Gedrängel als Beifahrerin auf einem der Geräte sitze.
Es gibt absolut nichts, was auf diesen Motorrädern keinen Platz findet: Ganze Familien kuscheln sich eng aneinander. Kinder werden zur Schule gebracht. Ich sehe sogar ein lebendiges Schwein auf einem Gepäckträger und ein mit unzähligen Körben voll lebendiger Enten bepacktes Motorrad. Tierwohl? Ein Fremdwort.
Schnell sehe ich ebenfalls ein: schöne und vor allem helle Schuhe sind hier vollkommen fehl am Platz. Die Locals laufen aus guten Gründen mit Crocs und anderen Varianten billiger Plastik-Sandalen durch den Schmutz von Hanois Straßen.
Auch fällt mir auf, dass hier niemand Marken-Klamotten trägt. Kleidung muss einfach nur praktisch sein. Ich merke, wie das einen großen Ballast von mir selbst nimmt. Wir verschwenden in unserem Teil der Welt so wahnsinnig viel Energie darauf unsere äußere Hülle repräsentativ zu gestalten. Ich trage in den nächsten vier Wochen kein einziges Mal Make-up und rotiere die immerselben Klamotten durch, die mein begrenztes Rucksack-Repertoire hergibt.
Old Quarter: Ein Spaziergang durch die Geschichte
Während ich meine Nudesuppe schlürfe, prasseln all diese ersten Eindrücke im Stakkato auf mich ein. Dann breche ich zu einem ersten Spaziergang um den Hoan Kiem See auf. Die Gegend rund um den See ist verkehrsberuhigt und dadurch entspannt. Es ist noch früh am Morgen und ich kann den Einwohner:innen Hanois beim Sporteln zusehen: Joggen, Yoga, Tai Chi, Tango – das volle Programm.
Ich vertreibe mir die Zeit mit einer ersten oberflächlichen Sightseeing-Runde. Wohlwissend, dass ich nur schlendere, denn mein Kopf ist zu dem Zeitpunkt noch nicht aufnahmefähig.
Nach meiner Runde um den See werfe ich einen Blick in ein Heritage Tube House, das sich über mehrere Innenhöfe von der Straße weg nach hinten erstreckt. Danach schlendere ich durch den stimmungsvollen Bach Ma Tempel.
Mein erster Tag in Hanoi plätschert dahin. Nach einem Nachmittagsschläfchen in meinem Zimmer, über dessen Verfügbarkeit mich Stella via WhatsApp informiert hat, futtere ich mich durch den Abend. Der unschlagbare Vorteil ist, dass die Portionen hier relativ klein, leicht verdaulich und günstig sind, sodass man jeweils mehrere Gerichte testen kann. Somit muss ich mich an diesem Abend nicht zwischen Banh Mi, Papaya Salat und einem Bao Bun mit süßer Kokos-Raspel und Klebereis-Füllung entscheiden.
Beim Flanieren fallen mir immer wieder Ladenbesitzer auf, die Geld-Attrappen auf der Straße vor ihrem Geschäft verbrennen.
Good to know: Das Verbrennen von Papiergeld (hang ma) ist eine vietnamesische Tradition zur Ehrung der Verstorbenen. Dieses Ritual basiert auf dem Ahnenkult und dem Glauben, dass Verstorbene weiterhin Einfluss auf das Leben der Hinterbliebenen haben. Die Vietnames:innen möchten durch das Verbrennen von Opfergaben ihren Verstorbenen ein besseres Leben im Jenseits ermöglichen. Viele Menschen verbrennen sogenanntes „Geistergeld“ und Papiermodelle moderner Konsumgüter, um sich dadurch Reichtum, Glück oder Gesundheit zu sichern.
Das Ritual findet besonders zum vietnamesischen Neujahrsfest sowie an bestimmten Tagen im Mondkalender statt. Und wenn man frühmorgens durch die Straßen zieht, kann man Ladeninhaber:innen dabei beobachten, wie sie diese Praxis vollziehen, um für ein gutes Tagesgeschäft zu beten.
Ich genieße, dass das Leben in Hanoi nachts noch so geschäftig ist. Und man nicht wie bei uns zulande zwingend Alkohol trinken muss, um daran teilzuhaben. Ich kann mich ganz gemütlich in ein Café mit Balkon setzen, das spät noch geöffnet hat und mir das Treiben auf der darunterliegenden Kreuzung bei einem coconut coffee anschauen.
Es juckt hier niemanden, wenn man alleine in einem Café oder Lokal sitzt. Das tun viele Leute, auch Einheimische. Man ist weder auf dem Präsentierteller, noch wird man genötigt permanent nachzubestellen.
Ein Tag im Franzosen-Viertel
Am nächsten Morgen begrüßt mich Stella’s kostenloses Premium-Frühstück. An den folgenden Tagen probiere ich mich munter durch die Auswahl. Neben der leckeren Kombi aus Sauerteig-Toast, Maracuja-Marmelade und täglich wechselnden frischen Früchten wie Papaya, Pittaya (Drachenfrucht) oder Melone gibt es Eierspeisen in allen Variationen. Aber auch traditionell vietnamesisches Frühstück wie Pho, oder gebratenen Reis. Alles selbstverständlich auch in vegetarischer Abwandlung.
Stella erkundigt sich nach meinem Schlaf und wir stellen fest: Die Vietnamesen stehen früh auf und gehen früh ins Bett. Was exakt meiner inneren Uhr entspricht. Ich nutze die Zeit vor dem Frühstück, um meine mitgeschleppte Yoga-Matte zu legitimieren und dem Rooftop des Hauses einen kurzen Besuch abzustatten. Von dort oben zeigt sich das bunt zusammengewürfelte Chaos von Hanoi aus der Vogelperspektive.
Gestern Nacht wurde es erst um 2 Uhr morgens einigermaßen ruhig in der Nachbarschaft. Und um 5 Uhr erwachte die Stadt bereits wieder aus ihrem Schlummer. Tatsächlich glaube ich, dass sie nie ganz zur Ruhe kommt. Irgendjemand geht immer aus – im Norden nicht so sehr des Nachtlebens wegen, aber sicher um die besten Schnäppchen auf dem Markt zu machen oder sich auf den langen Pendelweg zur Arbeit zu machen.
Vietnamese Women’s museum
Nachdem mein Körper happy ist, verlangt mein Kopf nach Nahrung. Ich mache mich auf ins Franzosenviertel und besuche einige bedeutende Kulturstätten.
Das Vietnamese Women’s Museum zeigt eindrücklich, welch bedeutende Rolle Frauen im Laufe der Geschichte für die vietnamesische Gesellschaft gespielt haben. Besonders faszinierend fand ich, welch treibende Kraft weibliche Guerillas im Wiederstand gegen die französischen Besatzer spielten. Sie machten diesen zum Beispiel mit dem Durchschneiden von Telefonkabeln das Leben schwer. Oder griffen mit den Tragestangen an, auf denen sie sonst ganz unschuldig ihre Waren zum Markt transportierten. Die Waffen einer Frau eben!
Was sich mir ebenfalls eingeprägt hat sind die süßen Tragetücher, mit denen sich vietnamesische Frauen auch heute noch ihre Babies auf Bauch und Rücken binden. Der Alltag vieler Frauen ist von harter Arbeit geprägt und die wenigsten haben den Luxus einer Kinderbetreuung. Deshalb müssen die Kinder in den Tagesablauf integriert werden und werden überall mit hin genommen.
Auch spannend: Anders als in vielen Kulturkreisen dieser Erde herrscht vor allem bei den ethnischen Minderheiten in Vietnam traditonell das Matriarchat. Das bedeutet unter anderem, dass bei der Zusammenkunft zweier Familien durch Heirat, der Mann in den Haushalt der Frau einzieht und die Mitgift einbringt – und nicht anders herum.
Good to know: Ich kann im French Quarter zwei Restaurants empfehlen. Das Bao An Vegan Sreet Food befindet sich etwas versteckt in einer kleinen Gasse und wird von einer sehr freundlichen Familie geführt. Dort gibt es eine leckere Reisnudel-Schale mit frittierten vegetarischen Frühlingsrollen.
Das zweite ist für mich auf Maps leider nachträglich unauffindbar. Es handelt sich eher um einen Streetfood-Imbiss. Besonders charmant fand ich den vietnamesichen „Uncle“ (in vielen asiatischen Ländern die liebevolle Bezeichnung eines Mannes im mittleren Alter), der mich von meiner anfänglichen Idee, nur Garnelen in der Suppe zu ordern, beherzt abbrachte und mir geschäftstüchtig die „everything“-Variante mit Muscheln, Fisch, Oktopus und Garnelen verkaufte. Und ich bin verdammt froh darüber! Upselling gelungen.
Hoa Lo Gefängnis
Das Hoa Lo Gefängnis in Hanoi ist in jedem Fall einen Besuch wert. Allein die Namensgebung erzählt viel über die Geschichte dieses Ortes. Ursprünglich wurde das Gefängnis von den Franzosen errichtet und euphemismisch mit maison centrale (Haupthaus) betitelt. Ein sehr schmeichelhafter Name für eines der härtesten Gefängnisse Indochinas, das dem sehr unschmeichelhaften Zweck diente, vietnamesische Revolutionäre und Patrioten wegzusperren.
Da finde ich den vietnamesischen Titel hoa lo, der sich mit „Brennofen“ übersetzen lässt, schon deutlich passender. Was unter französischer Führung dort passiert ist, wird als sehr grausam beschrieben. So hatten die Gefangenen beispielsweise nur 10 Minuten Zeit zum Essen. Was immer sie in der Zeit nicht herunterschlingen konnten, wurde vor ihren hungrigen Augen weggeworfen. Von dem verdorbenen, ungenießbaren Essen wurden die Häftlinge zudem schlimm krank.
Schaurig ist auch die Guillotine, die man heute noch im Original dort betrachten kann. Diesen Teil der Ausstellung fand ich hart zu ertragen. Man kennt die Guillotine aus dem Geschichtsunterricht und den Filmen zur Französischen Revolution. Es ist aber etwas ganz anderes, tatsächlich vor einer solchen Todesmaschine zu stehen und sich sehr bildlich vorzustellen, wie sie eingesetzt wurde.
Während des Vietnam-Krieges, den die Vietnamesen übrigens American War nennen, wurde das Gefängnis zur Unterbringung amerikanischer Kriegsgefangener genutzt. Da die Haftbedingungen für die Amis eher milde ausfielen, bezeichneten diese das Gefängnis scherzhaft als Hanoi Hilton. Einer der prominentesten Insassen war US-Senator McCain, der nach dem Abschuss seines Flugzeuges über dem West Lake in Hanoi, 5 Jahre in hoa lo verbrachte.
Destination West Lake
An meinem dritten Tag in Hanoi bekomme ich von Stella bei einem leckeren fried rice Frühstück den Tipp, mir die Gegend rund um den West Lake anzusehen. Beiläufig erwähnt sie auch, dass sie dort ein zweites Homestay eröffnen möchte. Die Geschäfte scheinen gut zu laufen!
Durch unsere Smalltalks weiß ich, dass sie alleinerziehende Mutter ist. Und eine ebenfalls alleinerziehende Mutter als Haushaltshilfe beschäftigt. Women supporting women. Einfach hat Stella es sicher nicht gehabt, deswegen freut es mich sehr zu sehen, dass sie finanziell gut aufgestellt ist.
Zitadelle Thăng Long
Auf dem Weg zum West Lake besichtige ich über den Tag verteilt eine Reihe klassischer Hanoi-Sehenswürdigkeiten, angefangen mit der von Schulkindern übervölkerten Zitadelle Thăng Long. Eifrig üben sie ihr Englisch an und mit mir, angefangen von einem enthusiastisch ausgerufenem „Hello“ über ein „You like mango? I like mango too.“ bis hin zu zwei schüchternen Jungen, die mir zwei rührende Blümchen überreichen und dann schnell davon laufen.
Die Zitadelle wurde wie weitere imperiale Orte, die ich auf meiner Vietnam-Reise noch besuchen werde, nach dem Vorbild der Verbotenen Stadt in Peking erbaut und diente den vietnamesischen Kaisern über 13 Jahrhunderte als Machtzentrum. Der ehemalige Kaiserhof ist ein UNESCO Weltkulturerbe und das weitläufige, abgeschottete Areal bietet eine wunderbare Ruhe innerhalb dieser chaotischen Stadt. Der imposante Flaggenturm gilt als Wahrzeichen Hanois.
Die Zitadelle bietet Besuchern einen spannenden Querschnitt durch die Landesgeschichte. Der ehemalige Kaiserhof hat Eroberungen durch die Mongolen und Franzosen überdauert. Er diente im Vietnam-Krieg als Quartier für das vietnamesische Militär und das Politbüro (Komittee der kommunistischen Partei).
Grab a ride
Die Distanzen in diesem Teil von Hanoi sind lang. Schon nach dem ersten längeren Spaziergang spüre ich meine Energie schwinden. Es ist heiß und höchste Zeit, auf ein anderes Fortbewegungsmittel umzusteigen.
Good to know: Neben Google Maps und Translate ist die essenzielle App, die ihr für eure Vietnam-Reise braucht Grab. Die Registrierung ist auch für Ausländer:innen ein Kinderspiel. Alles was ihr braucht, ist eine lokale SIM, damit ihr immer und überall zugreifen könnt. Ab diesem Moment wird euer Leben auf einmal federleicht. Egal, an welchem Ort in der Stadt ihr euch befindet und welches noch so nischige Ziel ihr vor Augen habt: Grab regelt.
Innerhalb von 2 Minuten ist ein Motorrad-Taxi an Ort und Stelle. Die Fahrer sind super freundlich, da ihr den Service und die Person quasi in Echtzeit bewerten könnt. Ihr bekommt einen (wenn auch unpassenden und viel zu lockeren) Helm gereicht und werdet für wenige Euro durch den völlig verrückten Straßenverkehr zuverlässig an euren Zielort transportiert.
Ganz ehrlich: Es braucht schon etwas Urvertrauen. Ich habe mich selbst überrascht, wie locker ich beim Fahren mit den Moto-Taxis war. Ich war bis dato eher wenig auf Motorrädern in Asien unterwegs. Aber in Vietnam muss man einfach mit dem System fließen. Rebellieren ist zwecklos.
Die Menschen dort wachsen quasi auf zwei Rädern auf und beherrschen das Fahren besser als jeder überambitionierte Touri mit Leih-Motorrad. Also: Schwingt euch auf den Gepäckträger, genießt die Erfahrung und gebt den hart arbeitenden Fahrern ein ordentliches Trinkgeld. Egal, was ihr in Europa verdient, in Vietnam seid reich und es gibt absolut keine Ausrede, die Locals nicht mit euren Mitteln zu unterstützen, wenn sie euch einen guten Service bieten.
Literaturtempel
Stolz und gehyped nach meiner allerersten Grab-Fahrt komme ich am Temple of Literature an. Der Literaturtempel gehörte zum Kaiserhof – allein die Tatsache, dass beide Orte heute durch eine 20-minütige Motorrad-Fahrt voneinander getrennt sind, vermittelt einen Eindruck der Dimensionen des ehemaligen Hauptstadt-Kerns.
Es handelte sich hierbei um die erste Universität Vietnams, die sich an den Lehren des Konfuzius ausrichtete. Hier wurden einst die Eliten des Landes geschult, sprich die Kinder von Adeligen und Mandarinen. Später wurde das Studium auch Hochbegabten aller Landesteile ermöglicht.
Auf von Schildkröten getragenen imposanten Stein-Stelen sind die Namen der wichtigsten Gelehrten Vietnams verewigt. Auch heute noch suchen Schüler:innen den Literaturtempel auf, um für gute Noten zu beten oder Abschlussbilder vor historischer Kulisse zu machen.
Ho Chi Minh Mausoleum
Bei meinem ersten Versuch, das Ho Chi Minh Mausoleum zu besuchen, schließen die Tore vor meiner Nase für die Mittagspause. Ich mache das beste daraus und tauche in eine Nebenstraße ein. In der sehr authentischen Marktgasse gibt es keine Schilder auf Englisch oder Vietnamesisch, aber ich schaffe es trotzdem durch Deuten für geringes Geld ein paar Snacks zu erwerben. Meine Ausbeute ist eine gegrillte Süßkartoffel, ein Reiskuchen mit Lotus-Kern und eine Portion süßer grüner Kokos-Reis. Sugar overload, here we go again!
Bei einem Zwischenstopp kühle ich meinen überhitzten Körper mit Eiskaffee und beobachte eine gemeinschaftliche Navigationsübung, als ein LKW rückwärts in die enge Gasse einschert und dabei die Markise des Cafés mitnimmt. Vietnam at it’s best.
Als ich später am Tag endlich meinen Weg in das Mausoleum finde, stelle ich fest, dass der Marmor-Bunker, in dem der Leichnahm von Ho Chi Minh aufgebahrt ist, heute aus irgendeinem Grund wohl nicht zu besichtigen ist. Infos gibt es keine. Schade.
Good to know: Uncle Ho, der für seine Bescheidenheit bekannt ist, wollte selbst wohl gar nicht, dass sein Körper in einem Mausoleum für die Nachwelt ausgestellt wird. Sein Wunsch war es, kremiert zu werden. Dem kommunistischen Regime war das scheinbar egal. Der Leichnam wurde den großen Vorbildern Lenin, Stalin und Mao gleich präserviert und wird wohl zur Instandhaltung einmal jährlich nach Russland transportiert. Es ist ein wenig makaber und ich bin irgendwie nicht böse darum, dieses Bild nicht in meinem Gedächtnis zu haben.
Man kann trotzdem das bescheidene Wohnhaus von Vietnam’s ersten Präsidenten besichtigen und einen schönen Spaziergang durch den anschließenden Garten mit Fischteich und Pomelo-Bäumchen machen. Insgesamt muss ich mir aber eingestehen, dass ich die ganze Anlage eher unterwältigend und wesentlich weniger spannend als im Reiseführer angepriesen finde.
Mantra Magie
Auf den letzten Metern zum West Lake kehre ich im veganen Restaurant Cơm Chay Loving Hut ein. Ich bin die einzige Gästin und werde von zwei bezaubernden älteren Damen umsorgt. Sie sprechen kein Wort Englisch, doch ihre Gastfreundschaft und Wärme braucht keine Erklärung.
So finden ein paar wunderbar frische Sommerrollen aus knusprigem Reispapier und ein Curry aus langsam gegarten Kochbananen und Tofu den Weg auf meinen Tisch. Google Translate hilft mir dabei, mich angemessen auf Vietnamesisch zu bedanken.
Good to know: Neben der offensichtlichen Google-Suche, ist die Happy Cow App sehr hilfreich beim Aufstöbern veganer und vegetarischer Restaurants im Ausland. Die Vietnamesen machen hier übrigens keinen Unterschied: Es gibt entweder Restaurants, die Fleisch und tierische Produkte servieren oder komplett vegan sind. Eine gute Auswahl veganer Restaurants ist meist in der Nähe buddhistischer Tempel zu finden, da Buddhisten traditionell ja keine tierischen Produkte konsumieren.
Abendliches Tempel-Hopping
Kurz vor der viel befahrenen Brücke, welche die Zwillingsseen West Lake und Truc Bach Lake voneinander trennt, befindet sich der stimmungsvolle, taostische Quan Thanh Tempel, der auf jeden Fall einen Abstecher wert ist.
Unbedingt empfehlenswert ist die stimmungsvolle Tran Quoc-Pagode, die sich auf halbem Weg zwischen den Seen entlang der Auto-Brücke befindet. Als ich ankomme, geht gerade die Sonne unter. Ein weiblicher Mönch chanted Mantren mit einer Mala. Ich setze mich mit etwas Abstand dazu, lasse mir die Abendsonne ins Gesicht scheinen und lausche. Es ist für mich das erste Mal an diesem Tag, an dem ich wirklich zur Ruhe komme. Und damit der schönste Ort, den ich heute besichtigt habe.
Vietnam schenkt mir einen atemberaubenden Sonnenuntergang: Die Sonne versinkt zunächst hinter der Pagode und dann im West Lake. Ich schaffe es an diesem Abend nicht mehr auf die andere Seite der Brücke, auf der sich die Expat-Enklave am gegenüberliegenden Seeufer erstreckt. Vielleicht ist das besser so. Unpopular opinion: Die oberflächlich-überhebliche Expat-Community, die ich 2019 auf meiner Hong Kong Reise erleben musste, hat mich nachhaltig skeptisch gegenüber diesem Lebensstil gemacht.
Mein Herz ist voll und ich fröne meiner neu entdeckten Grab-Leidenschaft, indem ich mir einen Fahrer rufe, der mich durch den chaotischen Straßenverkehr zurück zu meiner gemütlichen und sicheren Homestay-Base bringt.
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