Ho Chi Minh City (HCMC) ist eine Stadt, die mit jedem Herzschlag vibriert. Der Inbegriff einer asiatischen Metropole, wie ich sie auf meiner vierwöchigen Vietnam-Reise bisher vermisst hatte. Es ist schwül, heiß, anstrengend und wunderbar. In einem Labyrinth aus Lichtern, Motorrollern und mehr Eindrücken, als meine Sinne verarbeiten können, verbergen sich die Geschichten beeindruckender Menschen, die ihren Weg aus einer vom Mangel geprägten Vergangenheit in eine pulsierende Moderne grenzenloser Möglichkeiten suchen.
Der erste Eindruck ist Programm
Good to know: Über Grab könnt ihr euch einen Fahrer organisieren, der euch am internationalen Flughafen Tan Son Nhat einsammelt und in die Stadt bringt. Es gibt dafür extra ausgewiesene Wartezonen außerhalb des Ankunftsterminals. Dort drängt ihr euch mit vielen Einheimischen und vereinzelten Touris, die es ebenfalls nicht einsehen, sich von der Flughafen-Taxi-Mafia übers Ohr hauen zu lassen.
Leider sind die Flughäfen in Vietnam für diese Art der Abzocke berüchtigt. Das muss nicht sein, Grab regelt das für euch. Allerdings müsst ihr dafür etwas Anstrengung in Kauf nehmen, euren Platz in der Warteschlange halten und Ausschau nach dem Auto mit dem richtigen Nummernschild halten, das euch in der App angezeigt wird. Wenn euer Fahrer dann eintrifft, muss es schnell gehen: Ich wurde mit Sack und Pack über metallene Absperrungen eskortiert, um auf direktem Weg zum Auto zu gelangen.
Mein Fahrer ist genial: Ein junger, lustiger Kerl, der mich nach der stressigen Anreise mit Party-Musik auflockert und mir echte Saigon-City-Vibes vermittelt: Die Gefühle von Freiheit, Abenteuer und Lebensfreude sitzen mit uns im Auto, als er über den Highway in die Stadt brettert. Dabei kaut er nervös Kaugummi und fährt sich wiederholt durch die Haare. Ein Flirtversuch? Englisch fällt als Kommunikationssprache leider raus, aber die Chemie stimmt. Auch ich werde nervös. So nervös, dass ich zwar ein großzügiges Trinkgeld gebe, dann aber beim Aussteigen meinen Hoodie und mein Rucksack-Cover im Kofferraum liegen lasse. Auf Nimmerwiedersehen!
Wohnen in District 3
Mein Homestay in HCMC ist ein Glücksgriff. Das Hello Saigon ist die Unterkunft, in der ich mich auf der gesamten Reise am wohlsten gefühlt habe. Es befindet sich in einer extrem authentischen Nachbarschaft, in der ältere Männer mit nacktem Oberkörper vor ihren Läden sitzen und sich morgens auf der Straße das Gesicht rasieren. Nachbarn gruppieren sich am Nachmittag vor ihren Häusern und unterhalten sich – und ich deutsche Kartoffel mittendrin.
Mein Zimmer ist einfach. Und so klein, dass ich kein Foto aufnehmen kann, weil ich von keiner Ecke des minimalen Raumes aus alles auf die Linse bekomme. Die Matratze meines Bettes ist hart und ich teile mir das Badezimmer mit einem anderen Gast, der mit mir auf demselben Stockwerk nächtigt – sowie kleinen Geckos, die sich in den dekorativen Pflanzen verstecken und ab und zu heraus lugen.
Aber: Es ist blitzsauber, hat eine gute Klimaanlage und sogar einen Kühlschrank. Die Dusche ist heiß und mir steht eine luxuriöse Dachterasse zur Verfügung, die ich abends ganz allein in Beschlag nehme während ich mit Blick auf die Dächer der Millionenstadt mein banh mi und Chili-Mango aus dem Supermarkt nebenan genieße.
Der wahre Zugewinn sind für mich die netten Konversationen mit der Homestay-Inhaberin und ihrer entzückenden Mutter. Die Omi schält Pomelo für mich und wir kommunizieren über Google Translate miteinander. Das beherrscht sie ebenso souverän wie das Messer beim Schälen der erfrischenden Zitrusfrucht.
Großstadt-Komfort
Sehr zu meiner Freude gibt es in HCMC convenience stores! Ich habe gar nicht bemerkt wie sehr mir Family Mart, 7 Eleven und Co in den letzten Wochen abgegangen sind. Auf einmal habe ich wieder Zugang zu Annehmlichkeiten wie Quark, Milch, Onigiri und frischem Obst, für das ich nicht auf dem Markt feilschen muss, um den local price zu erhalten. Und das ist noch nicht alles: Ich entdecke sogar Müsli, Haferflocken und Mehrkornbrot. Hallelujah!
HCMC liefert all den Luxus einer asiatischen Megacity: Ich muss mich an den Anblick von Hochhäusern, Supermärkten und Malls erst wieder gewöhnen. Schon jetzt sehe ich, wie die Kontrolle durch die Amerikaner und der Kapitalismus diesem Teil Vietnams im Vergleich zum kommunistischen Norden ganz eindeutig zu größerem Wohlstand verholfen hat. Ich fühle mich auf faszinierende Weise an die historische Entwicklung von Ost- und Westdeutschland erinnert. Und werde in den nächsten Tagen noch viele weitere Aspekte entdecken, die diese Parallelen für mich bestätigen.
Transportchaos
Leute lasst es euch gesagt sein: Der Verkehr in HCMC ist ein anderes Level. Hier nach europäischem Gedanken gemütlich zu flanieren, ist eine ganz ganz schlechte Idee. Ich habe es ein paar Mal versucht und zwischendrin immer völlig erschöpft aufgegeben und ein Grab-Motorrad-Taxi gerufen.
Kleinste Distanzen werden zur Qual, wenn sich Massen an Motorrädern mit euch von vorne und hinten über die nicht vorhandenen oder anderweitig genutzten Bürgersteige schieben. Über die Straße zu kommen, ist pures Adrenalin. Ein-, zweimal macht es Spaß, aber wenn man alle 20 Meter wieder vor dieser Hürde steht, ist es irgendwann nur noch anstrengend und nicht ganz ungefährlich. Nach einer halben Stunde bekommt ihr von den vielen Abgasen, dem Gehupe und der Hitze hämmernde Kopfschmerzen.
Ich bin ab meinem zweiten Tag in HCMC komplett auf Grab als Transportmittel umgestiegen. Auch das ist schon ein Abenteuer. Statt euch gegen den Strom zu kämpfen, seid ihr nun Teil davon! Das Fahren hat mir irrsinnig viel Spaß gemacht. Schnell voran geht es sowieso nicht, deshalb bleibt viel Zeit zum Beobachten. Zum Beispiel die vielen kleinen Streetfood-Carts, die sich zur Pendelzeit am Straßenrand platzieren und ihre Speisen anbieten. Hier heißt es: be where your customers are! Mein Marketing-Herz macht einen Hüpfer. Die Angst, dass ein heißer Auspuff mit euren nackten Beinen Bekanntschaft macht, müsst ihr irgendwie ausblenden.
Frühstück mit Aussicht
Eine weitere tolle Möglichkeit, euch das Treiben von oben anzusehen, bietet der Balkon der Bäckerei-Kette Paris Baguette Cao Thang. Ihr habt hier wirklich einen Logenplatz und könnt die Blechlawine aus Motorrädern, Fahrrädern, Bussen und der gelegentlichen Ambulanz mit sicherem Abstand beobachten. Wenn ihr genug von alldem habt, könnt ihr in den klimatisierten Innenraum wechseln.

Paris Baguette kannte ich schon aus Südkorea. Die Filialen der Kette sind immer eine gute Option für Kaffee und süße Teilchen. Ich empfehle in diesem speziellen Fall allerdings nur den Kaffee dort zu kaufen und euch auf dem Weg ein Gebäckstück von TIỆM BÁNH PARIS GATO mitzunehmen. Die Backwaren dort fand ich günstiger und leckerer. Und der kleine Laden freut sich über eure Unterstützung!
Sightseeing in Saigon
Ich muss sagen, dass ich die klassischen HCMC-Sehenswürdigkeiten okay aber nicht überwältigend fand. Selbstverständlich lauft ihr an der Notre Dame Kathedrale von Saigon vorbei – zur Zeit meines Besuchs war sie leider mit einem Baugerüst verdeckt. Ihr werdet sicher auch am Alten Postamt vorbeikommen und durch die Book Street flanieren. All das fand ich okay.

Beeindruckender war für mich der Ausblick vom Bitexco Financial Tower, der Neuankömmlingen wie mir eine gute Orientierung inerhalb der Stadt ermöglicht. Spannend ist es auch, das People’s Committee samt Ho-Chi-Minh Statue und verrücktem Verkehr wirken zu lassen und den sich anschließenden Pracht-Boulevard herunter zu laufen. Mein Tipp wäre allerdings, das am Abend zu tun, denn die Hitze und die weiten Distanzen machten das ganze Unterfangen mühsam.
Die Café Apartments
Eher unterwältigend fand ich die Café Apartments. Das historische Wohnhaus, das früher Hafenarbeiter beherbergte vereint nun eine Vielzahl schräger Cafés mit überteuerten Preisen und minderwertiger Qualität unter seinem Dach. Ich habe mir dazu in mein Tagebuch notiert: Ziemlicher Käse für die Generation Instagram. Und das trifft es ganz gut auf den Punkt. Frech ist auch, dass man für das Benutzen des Fahrstuhls 3000 VND berappen soll. Der Aufstieg ist wirklich nicht anstrengend, spart euch das bitte!
Good to know: Und wenn ihr Lust auf ein cooles Café mit Aussicht habt, dann geht doch lieber in das OKKIO Caffee. Dort gibt es guten specialty coffee und ihr könnt mit etwas Glück einen Platz auf dem Balkon mit Blick auf die Oper von Saigon ergattern. Aber Achtung: Der Weg ins Café führt durch eine etwas düstere Passage samt Treppenhaus. Ich dachte erst, ich bin verloren gegangen, habe es dann aber gewagt, in den ersten Stock zu gehen und wurde vom cleanen, einladenenden Ambiente des Cafés in Empfang genommen.
Réhahn Gallery
Sehr empfehlen kann ich einen Besuch der Gallerie des französischen Fotografen Réhahn. Den Tipp habe ich von einem Tour-Guide in Hoi An bekommen. Der Besuch der Gallerie ist kostenlos und die jungen Frauen, die dort arbeiten, vermitteln mit großer Passion Wissen zu den dort ausgestellten Fotografien.
Réhahn lebt in Hoi An und ist durch seine Fotodokumentation ethnischer Minoritäten in Vietnam, das Precious Heritage Project, berühmt geworden. Sicher kennt ihr die berühmten Bilder des Mädchens mit den blauen Augen An Phuoc (siehe oben) oder etwa der lächelnden Oma Madame Xong (hier). Neben vielen Fotomotiven aus Vietnam, könnt ihr in der Gallerie auch sehr emotionale Portraits älterer Menschen aus Malaysia, Indien und Kuba bewundern.
Mariammam Hindu-Tempel
Es mag an meiner Obsession mit Indien liegen, aber dieser Hindu-Tempel hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sowohl die beeindruckende Fassade, als auch die Ruhe und Fülle an Informationen zur indischen Götterwelt im Inneren. Wenn ihr in District 1 unterwegs seid, ist es zu Fuß nur ein Katzensprung zum Tempel. Gewidmet ist er der Hindu-Göttin Mariammam, die für eine reiche Ernte, Freude und Wohlstand steht. Errichtet wurde er von tamilischen Händlern, die im 20. Jahrhundert nach Saigon kamen.
Cholon
Auch HCMC hat eine Chinatown, die sehr besuchenswert ist. Die Sehenswürdigkeiten sind hier nicht so konzentriert wie andernorts, deshalb lautet auch hier mein Tipp an euch: Lasst euch nicht auslaugen, indem ihr euch aus falschem Stolz zu Fuß von A nach B durchboxt. Nehmt lieber ein Grab. Ich spreche aus Erfahrung.
Ein guter erster Landungspunkt in Cholon ist die Tue Thanh Assembly Hall, ein 1760 erbauter Tempel zu Ehren der Seefahrer-Göttin Mazu. Von dort aus könnt ihr bequem (!) zur Nghia An Versammlungshalle (auch genannt Ong-Pagode) weiterlaufen. Dort wird der Gott Quan Cong verehrt, der für die Loyalität der im Ausland lebenden Chines:innen gegenüber ihrer Heimat steht. Der Name „Nghia An“steht für das Konzept der Erinnerung an die eigenen Wurzeln. Zur Zeit meines Besuchs quillt der Platz vor dem Eingang über mit tobenden Schulkindern, die wohl ihre Pause dort verbringen. Ein einzigartiges Stück Alltag, das ich hier miterleben darf.
Von hier aus könnt ihr noch zur Cho Lon Masjid, der Moschee von Cholon weiterlaufen und einen kurzen Blick auf die Fassade werfen.
Per Grab geht es weiter zur 1730 erbauten Quan Am Pagode, einer der ältesten religiösen Einrichtungen der chinesischen Fujian-Gemeinde in Cholon. Teil der 2.500 m² großen Anlage ist der Nhi-Phu-Tempel. Dort wird Ong Bon verehrt, ein Beamter der Yuan-Dynastie in China, der von den Fujianern als Beschützer der Gemeinschaft verehrt wird.
Mein letzter Stopp in Cholon ist der Khanh Van Nam Vien Taoist temple. Dieser taoistische Tempel vereint Elemente der „drei Religionen gleichen Ursprungs“: Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus. Als ich im schattigen Hof vor dem Tempel-Eingang auf mein Grab-Taxi warte, spricht mich ein liebenswürdiger junger Vietnamese an, der sich ein bisschen mit mir unterhalten möchte. Ich erfahre, dass er 23-Jahre alt ist, zuerst Tourismus studiert hat, nun aber als Fotograf arbeitet. Seine ältere Schwester ist Mitte 30, so wie ich. Er schenkt mir einen Anstecker, der einen Globus in Herzform abbildet. Wie passend für eine Weltenbummlerin wie mich. Ich bin gerührt und unendlich dankbar für diese wunderbare Begegnung. Und habe einen Instagram-Follower mehr!

Dann bin ich erst einmal kaputt und lasse mich von meinem Grab-Fahrer am Dimsum-Restaurant Shan abliefern, um bei leckeren Dumplings ganz im Chinatown-Stil meine Energiereserven wieder aufzufüllen. Mehr zu diesem fabelhaften Restaurant findet ihr im Abschnitt Restaurant-Tipps.
FITO Museum
Das Museum ist ein echtes Highlight. Die enthusiastische Empfehlung meiner Tourguide Em (mehr unter „Free Walking Tour“) bestärkt mich, es zu besuchen. Die Ausstellung widmet sich der traditionellen vietnamesischen Medizin. Besonders wird der Besuch durch das tolle Interieur. Sobald ihr eintrefft, werdet ihr von den Damen am Empfang gebrieft, wie ihr den Rundgang am besten angeht: Ihr fahrt mit einem Aufzug in die oberste Etage des alten Gebäudes und arbeitet euch dann Stockwerk für Stockwerk nach unten durch.
Ich habe selten erlebt, das mich ein Museum so gefesselt hat. Das tolle Interieur ist ein Fest für die Sinne – das fanden auch die vielen Vietnamesinnen, die dort ihre Photoshootings veranstaltet haben. Wahrscheinlich ist das die Vorbereitung auf CNY. Es geht zwar recht rücksichtsvoll zu, dennoch erwische ich mich bei dem Gedanken, dass ich froh bin, vor den Festivitäten bereits wieder abzureisen. Für Touris ohnehin ein ungünstiger Zeitpunkt, da die öffentlichen Verkehrsmittel überfüllt sind und an den Feiertagen alle Läden geschlossen sind – schließlich sind alle bei ihren Familien und feiern.
Um eure Eindrücke aus dem Museum zu verdauen, könnt ihr eine Pause im schicken Café Beanthere nebenan einlegen – das schon alleine wegen dem tollen Wortspiel im Namen und dem Interieur im Gewächshaus-Stil einen Besuch wert ist.
War Remnants Museum
Eine der eindrucksvollsten und zugleich erschütterndsten Erfahrungen, die ihr in HCMC machen könnt, ist der Besuch des War Remnants Museums. Dieses Museum führt seine Besucher durch die Geschichte des Vietnamkriegs, den die Vietnamesen übrigens als american war bezeichnen. Es ist eine eindrückliche Mahnung an die Schrecken des Krieges, die Leiden der Zivilbevölkerung und die nachhaltigen Folgen, unter denen das Land bis heute leidet.
Für Vietnam-Reisende gehört dieses Museum zum Pflichtprogramm, um ein tieferes Verständnis für die Vergangenheit und Gegenwart des Landes zu gewinnen. Vielen Verhaltensweisen bin ich durch das Wissen um diese Geschichte mit mehr Nachsicht und Verständnis begegnet.
Content Warnung: Vor allem in den oberen Etagen des Museums werdet ihr Fotos sehen, auf denen die Gräueltaten des Krieges explizit zu sehen sind. Die Fotos zeigen tote Menschen, die auf grauenvolle Weise ermordet wurden. In der Ausstellung über chemische Kriegsführung seht ihr Menschen mit entstellenden Behinderungen und sogar zwei konservierte Embryonen. Es ist hart aber aus meiner persönlichen Sicht wichtig, sich mit diesen Tatsachen zu konfrontieren, damit die vielen harten Zahlen und Fakten mit einem menschlichen Empfinden und konkreten Schicksalen verbunden werden.
In meinem Reiseführer wurde empfohlen, sich von oben nach unten durch die Ausstellung zu arbeiten. Ich würde es genau anders herum machen: Fangt unten an, um die Ereignisse chronologisch nachvollziehen zu können und hebt euch den hochemotionalen Teil für den Schluss auf. Danach könnt ihr ein paar Schritte an der (halbwegs) frischen Luft machen, um euren Kopf durchzulüften.
Im Folgenden schreibe ich die Punkte auf, die bei mir persönlich am meisten verfangen haben. Sicher geht jede:r anders durch diese Ausstellung nimmt andere Eindrücke für sich mit. Dieser Artikel hat auch nicht den Anspruch einen vollständigen historischen Abriss wiederzugeben.
Die Vorgeschichte des Vietnamkriegs
Die Ausstellung beginnt in den unteren Etagen mit einer historischen Einordnung der Geschehnisse, die zum Krieg führten. Nach der ersten demokratischen Wahl in Vietnam 1946 wurde Ho Chi Minh zum ersten Präsidenten Vietnams gewählt und rief die Demokratische Republik aus. Sein Ziel war es, die vietnamesische Bevölkerung dazu zu bewegen, sich von der französischen Kolonialherrschaft zu befreien. Dies mündete schließlich in den Indochina-Krieg, der 1954 mit der Unterzeichnung des Genfer Abkommens endete. Frankreich erkannte die Unabhängigkeit Vietnams an, doch das Land blieb in Nord- und Südvietnam geteilt.
Die USA begannen, Südvietnam militärisch zu unterstützen, um die Ausbreitung des Kommunismus im Norden, der von der Sowjetunion gefördert wurde, zu verhindern. Nach dem Zwischenfall im Golf von Tonkin 1964 eskalierte der Konflikt, und die USA griffen massiv in den Krieg ein.
Dokumentation des Kriegs
Das War Remnants Museum zeigt eindringliche Bilder und Berichte von Kriegsfotografen und -korrespondenten aus Frankreich, Japan und den USA. Ihre Berichte prägten maßgeblich die öffentliche Wahrnehmung des Kriegsgeschehens. Besonders berühmt ist das Foto Napalm Girl von Nick Ut, das das verstörte und verletzte Mädchen Phan Thi Kim Phuc zeigt – ein Symbol für das unermessliche Leid der Zivilbevölkerung. Dieses Foto ging um die Welt und gewann den Pulitzer-Preis als eines der einflussreichsten Pressebilder des 21. Jahrhunderts.
Die verheerenden Folgen von Agent Orange
Ein besonders erschütternder Teil der Ausstellung ist der chemischen Kriegsführung gewidmet. Die USA setzten großflächig Agent Orange und andere giftige Entlaubungsmittel ein, um die Dschungelgebiete entlang des Ho-Chi-Minh-Pfads zu entblößen, in denen sich die nordvietnamesischen Guerillakämpfer versteckten. Die Chemikalien hatten katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt und die Landwirtschaft, die für die vietnamesische Bevölkerung essenziell war. Der sogenannte chemical war ging über 10 Jahre und verlief in zwei Phasen, in denen verschiedene Chemikalien zum Einsatz kamen: Agent Orange, White, Blue. Und andere mit der ionischen Namensgebung: the purple people eater. Noch heute leiden Generationen an Spätfolgen wie Erbkrankheiten, Missbildungen und gesundheitlichen Schäden.
Die Dimensionen des Krieges
Insgesamt starben im Vietnamkrieg drei Millionen Vietnames:innen, davon zwei Millionen Zivilist:innen. Die USA führten den Krieg mit modernster Technologie und dem erklärten Ziel, Vietnam „zurück in die Steinzeit zu bomben“. Ein veritables David gegen Goliath Szenario.
Der Krieg dauerte 17 Jahre – länger als jeder andere Krieg in der US-amerikanischen Geschichte – und endete 1975 mit der Einnahme Saigons durch die nordvietnamesische Befreiungsarmee.
A peaceful not yet proseperous country
Ein Besuch im War Remnants Museum ist keine leichte Kost. Die Bilder, Berichte und Geschichten gehen wirklich unter die Haut. Genau deshalb aber ist dieser Ort so wichtig. Er erinnert nicht nur an das unermessliche Leid, sondern auch an die bewundernswerte Resilienz der Vietnames:innen. Letzteres kann man auch heute noch eindrucksvoll im Alltag der Menschen erkennen.
Denn Vietnam ist heute zwar ein friedliches, doch noch kein wohlhabendes Land, in dem jede:r einzelne hart für eine bessere Zukunft arbeitet.
Good to know: Wichtige Ereignisse im Vietnamkrieg
- 1946: Erste demokratische Wahl in Vietnam, Ho Chi Minh wird Präsident
- 1954: Indochina-Abkommen: Frankreich erkennt Vietnams Unabhängigkeit an
- 1964: Golf von Tonkin-Zwischenfall – direkter Kriegseintritt der USA
- 1965-1973: Operation Rolling Thunder – massive Bombardierungen durch die USA
- 1968: Son-My-Massaker (My Lai) – 504 tote Zivilist:innen an nur einem Morgen
- 1972: Hanoi/Haiphong-Bombardements – Zerstörung des Bach-Mai-Krankenhauses
- 1973: Pariser Friedensabkommen – offizieller Rückzug der USA
- 1975: Nordvietnamesische Truppen erobern Saigon, Vietnam wird wiedervereinigt
Aktivitäten in HCMC
Provincial Table Kochkurs
Am Ende meiner Reise tauche ich in die vietnamesische Kochkunst ein, indem ich an einem Kurs von Provincial Table teilnehme. Es war ein schönes, umfangreiches Erlebnis, beginnend mit einem Spaziergang über den Ben Thanh Markt. Der ist zwar touristisch, aber trotzdem charmant. Wir machen einen Rundgang über den dry und den wet market – die Bezeichnung lässt auf die Beschaffenheit der Waren schließen, die in den jewiligen Abschnitten gehandelt werden.
Wir bestaunen Dekoration für die in zwei Wochen anstehenden Tết-Feierlichkeiten, Kaffeebohnen, Tee und Gewürze, Früchte und lebendige Fische, Krabben und Muscheln. Und können der Versuchung einer frisch aufgeschlagenen Kokosnuss nicht widerstehen. Das Wasser kühlt und erfrischt herrlich in der Hitze des anbrechenden Tages. Und die Preise sind hier definitiv realistischer als bei den Kokosnüssen, die am Straßenrand in der Nähe von Sehenswürdigkeiten angeboten werden.
Mit einem Transfer geht es zu den Räumlichkeiten von Provincial Table, die sich nicht weit von meinem Homestay befinden. Dort bereiten wir mit freundlicher Unterstützung unserer anleitenden vietnamesischen Köchin frische Sommerrollen, banh xeo (vietnamesische Pfannkuchen) und pho zu. Auf meine Ernährungsbedürfnisse wird große Rücksicht genommen. Ich bekomme bei allen Speisen, die traditionell Fleisch enthalten, eine vegetarische Option, die dem Original in Nichts nachsteht. Meine Sommerrollen enthalten Tofu, bei den Pfannkuchen verzichte ich auf die Schweinefleisch- und Wurst-Füllung. Meine pho wird mit Gemüsebrühe gekocht und enthält als Einlage zusätzlich zu den Reisbandnudeln leckere Maiskolben und großzügige Karottenstücke.
Zum Abschied gibt es ein kleines Heft mit Rezepten, mithilfe dessen wir diese und weitere Gerichte zuhause nachkochen können. Eine sehr nette Geste! Ich würde den Kochkurs auf jeden Fall weiter empfehlen. Zuletzt auch weil die Köchin wirklich sympathisch war und unsere Gruppe mit ihrem Humor sehr aufgelockert hat. Da außer mir nur Pärchen teilgenommen haben, hat sie sich besonders mit mir verbündet. Ich vermute sie ist ebenfalls single und damit hatte ich bei ihr automatisch einen Stein im Brett.
Ansonsten würde ich unsere Gruppe als bunte Mischung gut situierter Menschen aus Australien, Frankreich, Spanien, Österreich und den Philippinen beschreiben. Viele hatten eine Ausbildung als Koch oder haben schon einmal in der Gastro gearbeitet. Das hat mich erst etwas eingeschüchtert. Es stellte sich aber heraus, dass die Gerichte für alle neu waren und Vorwissen bedeutete nicht zwangsläufig, dass alles rund lief. Einen besonders guten Draht habe ich zu einem Pärchen aus den Philippinen entwickelt, mit dem ich nun auf Instagram vernetzt bin und dem ich beim Abschied das Versprechen eines Besuchs in ihrer Heimat geben durfte.
Free walking tour
Da ich es in Hoi An so lohnenswert fand, mir über Get Your Guide einen geführten Stadtrundgang zu organisieren, bleibe ich dieser Methode in HCMC treu. Unsere Guide ist Em – wie viele Asiat:innen hat sie sich einen englischen Zweitnamen zugelegt, der für uns Westler leichter verständlich ist.
Die Tour startet in einem schattigen Innenhof mit historischer Bedeutung: Wir befinden uns am Ort einer ehemaligen Opium-Fabrik. Denn als Teil der sogenannten golden triangle stand Vietnam früher im Zentrum des Opium-Handels, den die Franzosen in Indochina betrieben. Die Kolonialmacht brachte den Mohn, der hier prächtig gedieh und verdiente sich eine goldene Nase durch den Verkauf des daraus hergestellten Opiums. Die Ausbeutung und verheerenden Auswirkungen der Droge auf die vietnamesische Bevölkerung wurden dabei billigend in Kauf genommen.
Wir erfahren zu Beginn der Tour einige Basics: Saigon ist der alte Name, den Vietnam’s südliche Metropole vor 120 Jahren erhalten hat. In Ho Chi Minh City wurde sie erst vor circa 50 Jahren umbenannt. Stolz erzählt uns Em, dass die Menschen in Südvietnam niemals einem König gefolgt sind und dass HCMC stolz darauf ist, eine freedom city zu sein. Dieses Gefühl habe ich an vielen Stellen für mich mitgenommen. Angefangen mit meiner Fahrt im Party-Taxi vom Flughafen zu meinem Homestay, über die überraschend persönlichen Perspektiven, die Em auf dieser Tour mit uns teilt, bis hin zu meiner letzten Nacht in HCMC, wie ihr später noch erfahren werdet.
Eng mit dieser Freiheit verbunden ist der Traum vom saigon dream. Das Versprechen ist vergleichbar mit dem american dream: Hier hast du eine Chance, dein business aufzubauen und es zu echtem Wohlstand zu bringen. Das durchschnittliche Gehalt in HCMC beträgt um die 1000 USD – dreimal so viel wie andernorts in Vietnam. Den Gegenpol dazu bildet der hanoi dream, der eine Beamten-Karriere beschreibt und in Vietnam Beziehungen zur kommunistischen Partei voraussetzt. Ohne diese stöst man an eine gläserne Decke. Em’s Traum davon, Lehrerin zu werden, scheiterte zum Beispiel an dieser Hürde. Was auch der Grund dafür ist, dass sie nach HCMC gezogen ist, um nun im Tourismus zu arbeiten.
Wir flanieren weiter zum Opernhaus und erfahren, dass es die Ambition der Franzosen war, mit Saigon ein zweites Paris zu errichten. Das erklärt auch die Anordnung der Straßen sowie die auffallend europäische Architektur der Gebäude. Alle repräsentativen Bauten in HCMC sind im Übrigen in gelber Farbe gehalten, um die starke Sonneneinstrahlung besser aufzunehmen. Ihr werdet wahrscheinlich mehr als einmal mit dem running gag konfrontiert: HCMC has two seasons: hot and hotter. Ich kann euch sagen: hot ist schon völlig ausreichend und ich möchte hotter nicht unbedingt erleben.
Heute ist die Oper eine Kulisse für Hochzeitsfotos wohlhabender Saigones:innen und damit ein echter Ausdruck von Status. In Vietnam ist es nicht unüblich, dass sich die Brautleute vor der Hochzeit in ihren festlichen Kleidern sehen. Denn die Fotos werden vor dem eigentlichen Anlass angefertigt und bei der Hochzeit großformatig ausgestellt, um die bis zu 800 geladenen Gäst:innen zu beeindrucken.
Unsere nächste Station ist das Volkskommittee von HCMC, vor dem die in die Ferne salutierende Statue Ho Chi Minhs auf den sich in Richtung Flussufer erstreckenden Prachtboulevard blickt. Wo heute ausgelassene Feierlichkeiten zu CNY stattfinden, wurden in der Vergangenheit blutige Hinrichtungen abgehalten.
Good to know: Vietnam’s erster Präsident startete seine Karriere sehr bodenständig als Bäcker in Boston, bevor er Journalist wurde und schließlich in der Politik landete. Da er selbst einer armen Familie entstammte wurde er zum Verfechter des Kommunismus – im festen Glauben, dass vor allem arme Menschen von dieser Ideologie profitierten. Er führte ein bewegtes Leben mit vielen verschiedenen Namen und Ausweisen. Auch Ho Chi Minh ist nicht sein echter Name.
Die wichtigsten Fakten: HCM war von 1945 bis 1969 Premierminister und Präsident der Demokratischen Republik Vietnam. 1930 gründete er die Kommunistische Partei Indochinas, aus der später die Kommunistische Partei Vietnams hervorging. Er führte Vietnam durch den Indochinakrieg gegen die französische Kolonialmacht und im zweiten Weltkrieg gegen die japanischen Besatzer. Danach setzte er sich für die Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam ein, was in den Vietnamkrieg (1955-1975) mündete. Unter seiner Leitung wurde der berühmte Ho-Chi-Minh-Pfad als Versorgungsnetzwerk von Nord nach Süd errichtet. Er starb 1969 an Herzversagen und ging als vietnamesischer Revolutionär und marxistisch-leninistischer Politiker in die Geschichte ein. Saigon wurde ihm zu Ehren in Ho Chi Minh Stadt umbenannt.
Einordnung: HCM ist eine zentrale und teils kontroverse Figur der vietnamesischen Geschichte. Er wird als „Vater der Nation“ verehrt. Sein Portrait ziert vietnamesische Geldscheine, zahlreiche Denkmäler und Straßen tragen seinen Namen. Sein Mausoleum in Hanoi ist Ausdruck des Personenkults um HCM, der bis heute anhält. In Südvietnam und auf internationaler Bühne herrschen jedoch gemischte Gefühle. Vor allem die Landreformen in den 1950er-Jahren werfen einen düsteren Schatten auf das Erbe von HCM. Um Landbesitzer zu enteignen und deren Besitz zu kollektivieren, kam es zu massiven Repressionen und unzähligen Hinrichtungen.
Über weitere Stationen geht es zu einem wirklich interessanten Spot, den ich ohne die Tour nicht gefunden hätte. Er befindet sich in einem der Gebäude rechts neben dem Cộng Cà Phê und ist mit den Schriftzügen last mission und landing zone gekennzeichnet. Nachdem die USA beschlossen hatten, sich aus Vietnam zurück zu ziehen und die Kommunisten aus dem Norden nach Saigon vorrückten, fand eine Notevakuierung von US-Soldaten und befreundeten Vietnamesen statt. Da die Landebahnen rund um die Stadt bereits zerstört worden waren, blieb nur noch die Option per Helikopter auf dem Dach dieses Gebäudes zu landen und die Evakuierung von dort aus durchzuführen.
Auch lange Zeit danach verliesen Südvietnamesen aus Angst vor ihren eigenen Landsleuten ihre Heimat. Ihr habt sicher schon einmal von den boat people gehört, die eine lange und gefährliche Reise über das südchinesische Meer in Kauf nahmen, um politischer Verfolgung, Zwangsumsiedlungen, Internierungen in Umerziehungslagern sowie wirtschaftlicher Not zu entkommen. Schätzungen zufolge ertranken bis zu 250.000 Menschen während ihrer Flucht in seeuntauglichen, überfüllten Booten. In Ländern wie Deutschland, Kanada und den USA fanden diejenigen, die gerettet werden konnten, Zuflucht.
Unsere Tour endet am Wiedervereinigungspalast, in dem nach dem Fall von Saigon 1975 das Ende des Vietnamkriegs besiegelt wurde. Ich habe den geschichtsträchtigen Ort aus Zeitgründen nicht besichtigt, bin aber sicher, dass es sehr lohnenswert ist.
Ich bin überzeugt davon, dass Karma eine gesonderte Liste mit Menschen führt, die an free walking tours teilnehmen, ohne dem Guide ein Trinkgeld zu geben. Mir ist das in Vietnam mehrmals untergekommen. Solche Leute verlassen sich darauf, dass alle anderen Teilnehmer:innen schon genug geben werden. Ich bin eine davon – und kann mir wenigstens sicher sein, dass ich mit mir selbst im Reinen bin, wenn ich mich heute Nacht in mein steinhartes Homestay-Bett lege.
XO Foodie Tour
Für meinen letzten Abend in HCMC und um das Ende meiner 4-wöchigen Vietnam-Reise zu zelebrieren, gönne ich mir eine mehrstündige mit dem Motorrad geführte Food-Tour. Der Veranstalter XO Tours und vor allem meine Fahrerin Thao Nummer 9 – es gibt sehr viele Thaos unter den XO-Guides – haben diesen Abend so emotional, beeindruckend und wirklich unvergesslich gemacht. Ich hätte mir keinen schöneren Höhepunkt zum Ausklang dieser Reise wünschen können!
Ich liebte die Kombination aus Motorradfahren, Sightseeing, Storytelling und natürlich Essen. XO Tours wurde vom Forbes Magazine als eine der 9 besten Food-Tour-Anbieter der Welt gewählt. Folglich wird das Konzept vielfach von anderen Touren-Anbietern imitiert, die zwar günstiger sind, aber nicht die gleiche Qualität liefern und vom guten Ruf der Firma nur profitieren wollen. Die XO-Guides sind alles Frauen, die elegant in traditionellem ao dais gekleidet, top ausgebildet sind und ihre Gäste an Orte bringen, die kein Tourist jemals selbst entdecken würde.
Dabei werden Speisen verkostet, die es nicht an jeder Ecke gibt und über die man ohnehin selbst im Laufe einer Vietnam-Reise stolpert (banh mi, pho…). Es wird viel Wert auf Qualität und hochwertiges Essen gelegt, einschließlich vieler Meeresfrüchte – und nicht darauf, die Leute mit Kohlenhydraten vollzustopfen. Mir gefiel auch, wie sie mit den Mengen umgingen, so dass es nie zu wenig, aber auch nicht zu viel war. Nach der Tour fühlte ich mich satt, aber nicht überfüttert.
Meine Essenswünsche als Pescetarierin wurden super berücksichtigt. Es gab an jeder Station kreative Fleisch-Alternativen, sodass ich das Gefühl hatte, den gleichen Wert zu bekommen. Manchmal waren die Fleischesser vielleicht sogar ein bisschen neidisch auf meine köstlichen Alternativen und ich teilte bereitwillig mit ihnen.
Erster Stopp: Banh Canh Cua 14 (District 5)
Bei unserem ersten Stopp gab es köstliche Krabben-Nudelsuppe und gekühlten Kräutertee. Kulinarisch schon einmal ein Volltreffer. Die erste Station wurde auch für eine Kennenlernrunde genutzt und ich war etwas überfordert, da mit mir nur Muttersprachler aus Australien und Irland am Tisch saßen. Da mein Englisch recht gut ist, dachten sie wohl, sie müssen keine Rücksicht auf mich nehmen. Die Akzente waren aber heftig und ich habe mich leicht überfordert gefühlt. Das lockerte sich zum Glück im weiteren Verlauf auf, als sich die Gruppe durchmischte.
Grundsätzlich mochte ich das Publikum, das an der Tour teilnahm. Unsere Gruppe bestand aus 13 Leuten aus den USA, Neuseeland, Australien, UK und Deutschland. Neben mir gab es noch ein zweites deutsches Mädel, die ursprünglich aus München kommt, mittlerweile in Berlin lebt und die Zeit zwischen zwei Jobs nutzt, um nach Vietnam und Sri Lanka zu reisen. Ein netter neuer Kontakt!
Umso dankbarer war ich, dass Thao den ganzen Abend über auch Konversation mit mir machte. Sie war immer an meiner Seite, und ich war so dankbar, dass ich ihren persönlichen Geschichten zuhören und ihr all meine brennenden Fragen über das Leben in HCMC stellen konnte. Die Tour bot mir dadurch wirklich einen Einblick in das Leben der Einheimischen, in die Träume und Hürden, denen sich junge und ehrgeizige Menschen, insbesondere Frauen, in dieser verrückten Metropole stellen müssen.
Zweiter Stopp: Cholon (District 5 / 6 )
Das Gefühl, mit dem Roller nachts durch HCMC zu düsen, werde ich nie vergessen: die warme Luft, das rasante Tempo. Freiheit mit einer Prise Risiko. Nur der Moment zählt. Unser nächster Stopp führt mich zurück nach Cholon, das bei Nacht nicht wiederzuerkennen ist: Alles ist voller Lichter, Laternen und Drachenkostüme in Vorbereitung auf die CNY-Feierlichkeiten. Wir steuern den Binh Tay Markt an, auf dem hauptsächlich Lebensmittel gehandelt werden. Wir bestaunen Orangen mit grüner Schale und giantische Pomelos, aufgetürmte Drachfrüchte, Bananen und Bittermelonen. Und kaufen pittaya, longan und milky apple als Dessert für unsere nächste Essensstation.
Ich erfahre, dass die Farben gelb und rot für Wohlstand und Geld stehen und dass das der Grund dafür ist, dass viele Ladenschilder in Cholon entsprechend gestaltet sind. Thao erzählt mir, dass ihre Oma und Mutter noch auf dem Markt einkaufen gehen, die jungen Leute in der Stadt aber keine Zeit haben, so früh aufzustehen. Sie wählen den Supermarkt oder lassen die älteren Generationen für sich einkaufen – die in Vietnam so wie in vielen asiatischen Ländern ohnehin alle unter einem Dach leben. Und ich erfahre, dass Thaos Nachbarn große Karaoke-Fans sind, die sie an den Wochenenden ganztägig mit ihren Darbietungen beschallen.
Dritter Stopp: Barbecue (District ?)
Bevor wir den Fluss überqueren, um in den Expat-District 7 zu fahren, stoppen wir für ein gigantisches Barbecue. Wir nehmen an einem langen Tisch platz und genießen gegrillte Shrimp-Spieße mit der weltbesten Marinade, frittierte Pancakes mit Mungbohnen-Füllung, Taro-Pommes mit Butter und Zucker-Dip und in einem Bananenblatt frisch gedämpftes Tofu zusammen mit allerlei Gemüse-Beilagen und den frisch geshoppten Früchten.
Lucy, die sehr professionelle, unterhaltsame und sympathische Führerin unserer Gruppe sorgt für das begleitende Entertainment. Sie ist sehr bubbly, teilweise vielleicht sogar etwas übertrieben aufgekratzt, aber aus guter Intention. Wir bekommen die Challenge, Erdnüsse auf Esstäbchen an unsere Sitznachbarn weiterzugeben. Die Tischseite, die dabei am schnellsten ist, bekommt als Zeichen der Anerkennung einen Anstecker mit der Aufschrift XO Champion.
Vierter Stopp: Expat Enklave (District 7)
Dann geht es auf die andere Seite des Saigon-Flusses. Und wir befinden uns im Expat-Himmel! Oder in der Hölle, je nachdem wie ihr so auf die Expat-Szene in asiatischen Ländern blickt. Hier leben vor allem gut betuchte asiatische Auslandsentsandte aus Taiwan, Korea und Japan. Ich bin nach meiner prägenden Erfahrung mit schwedischen Expats in Hong Kong in 2019 sehr avers, was solche Enklaven angeht.
Don’t get me wrong: Ich habe selbst einige Monate als Expat mit deutschem Gehalt in Malaysia gelebt. Allerdings in einer local family, deren Alltag ich gefolgt bin. Ohne Warmwasser, WLAN oder Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Aus meiner Sicht führen viele Expats ein Leben in Dekadenz, das mit der Lebensrealität der normalen Menschen vor Ort nichts zu tun hat, die sich hart abrackern müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Als wir die großen Boulevards entlang fahren, ziehen Fitnessstudios, American Fast Food, Korean BBQ und Sushi-Lokale an uns vorbei. Vor der großen Lotte-Shopping Mall aus Korea haben sich tapfer ein paar kleine Streetfood-Stände angesiedelt und versuchen irgendwie vom Besucherstrom zu profitieren. Wir sehen Bentleys in den Straßen. Und erfahren von zahlreichen leerstehenden Apartments in riesigen Condos, die von ausländischen Immobilienspekulanten einfach aufgekauft und nicht weiter vermietet werden.
Lucy erzählt uns sichtbar gerührt von ihren hart-arbeitenden Großeltern, die es ebenfalls zu Immobilienbesitz gebracht haben und damit den saigon dream leben. Sie selbst ist als Lehrerin an einer privaten Sprachschule ins Berufsleben gestartet, bevor sie sich entschied Vollzeit als Tourguide zu arbeiten.
Ich bin irgendwie erleichtert, als wir diesen Ort wieder verlassen. Wir fahren zurück über die Brücke, während mir die laue Nachluft um die Ohren weht und HCMCs Hochhäuser in der Ferne glitzern. Entlang an einem See, dessen Ufer von Liegestühlen und Sonnenschirmen gesäumt ist, die sogar bei Nacht aufgespannt sind. Sie schützen Liebespaare, die sich dort treffen, vor neugierigen Blicken. Thao verrät mir, dass dieser Ort sehr beliebt ist, da es günstiger als ein love hotel und für viele junge Leute die einzige Möglichkeit ist, sich außerhalb ihrer beengten Wohnverhältnisse näher zu kommen.
Fünfter Stopp: Seafood (District 2)
Der Weg zu unserer letzten Station des Abends führt über eine enorm lange, mit grellen, blinkenden Neonlichtern gespickten Shoppingstraße, in der bis 22.00 alles offen hat. Neben Läden für die Erwachsenen wird auch kids entertainment groß geschrieben: Stände mit Zuckerwatte, Popcorn und riesigen Plüschtieren ziehen an uns vorbei.
Irgendwann geht die Shopping-Meile fließend in eine Party-Meile mit open air clubs und beer courts über. Und mittendrin ein köstliches Seafood-Restaurant, in dem wir uns niederlassen. Mein Favorit ist ganz klar die Chili-Krabbe, die unsere Guides professionell mit Zangen für uns aufbrechen und mundgerecht servieren. Dazu gibt es die frischesten Jakobsmuscheln mit Frühlingszwiebeln, Erdnüssen und einem Chili-Öl-Dip und gekochte Venusmuscheln. Den Abschluss bilden ein windebeutelartiges Dessert und Caramell-Flan.
Ich fühle mich an diesem Abend wie ein Mitglied der elegantesten Damenclique der Welt. Diese Tour ist jeden Dollar wert und ich bin so dankbar, dass ich sie spontan gebucht habe. Ich empfehle jedem, das Gleiche zu tun! Ich verabschiede mich in tiefer Dankbarkeit von Thao, als sie mich wohlbehalten zu später Stunde wieder vor der Tür meines Homestays absetzt. Und gebe ihr neben dem Tourpreis und dem Versprechen einer hervorragenden Google-Bewertung ein Trinkgeld von 200k VND. Sie hatte mir erzählt, dass sie davon träumt, zu reisen und es hat sich für mich einfach richtig angefühlt, mit einem kleinen Beitrag zu unterstützen, dass sie hoffentlich bald dasselbe Privileg genießen kann wie ich.
Restaurant-Tipps
Pop-up Veggie-Frühstück
Als ich am ersten Tag in HCMC auf der Suche nach Frühstück meine Unterkunft verlasse, begebe ich mich zu Fuß auf den Weg zum War Remnants Museum. Ein Unterfangen, dass ich so nicht wiederholen werde. Warum? Das erfahrt ihr unter dem Punkt Transportchaos. An diesem Morgen hatte ich Glück im Unglück: In der morning rush hour sprießen nämlich die street food Verkaufsstände entlang der Hauptverkehrsachsen wie Pilze aus dem Boden. Da die Stände jeden Tag an anderer Stelle aufploppen und sich mit dem Verkehr bewegen, kann ich euch leider die genaue location des niedlichen vegetarischen Imbisses nicht sagen, an dem ich an diesem Tag mein Frühstück gekauft habe. Nur so viel: Es muss entlang der Cao Thang Straße gewesen sein.
Für 0,80 Euro nehme ich mir eine riesen Portion Reisnudeln mit verschiedenen Tofu-Sorten und leckeren Sößchen am Straßenrand mit und genieße diese im Laha Café zusammen mit einem XXL Cappuccino. HCMC du bist ne Wucht!
Bún Cá Bà Hồ
Hier gibt es leckere Fisch-Nudelsuppe für 1,90 Euro in Laufweite des War Remnants Museums. Sehr authentisch – in diesem Restaurant saß zur Mittagszeit kein einziger Tourist – und geschmacklich eine der besten Bun Ca, die ich während meiner Vietnam-Reise gegessen habe.
Toller Veggie-Lunch-Spot, den viele gut situierte Vietnames:innen nutzen, um mit Geschäftspartner:innen Mittag zu essen. Entsprechend etwas höhere Preise, aber immer noch sehr fair. Für 5,90 habe ich Dumplings mit Kürbisfüllung, vegetarische Reisnudeln mit allerlei Tofu und frischen Kräutern und einen Maracuja-Saft genossen. Der Service ist außergewöhnlich freundlich und man sitzt wunderbar ruhig und kühl.
O Plant-based
Diese geniale vegane Bäckerei in der Nähe meines Homestays finde ich über die Happy Cow App. Wahrscheinlich etwas off the grid, aber wenn ihr in der Nähe seid, lege ich euch einen Abstecher wärmstens ans Herz. Es gibt dort neben hochqualitativen Backwaren, die ortsansässige Kund:innen für den Tagesbedarf kaufen, auch tolle, pflanzenbasierte banh mi. Ich bestelle eine sehr leckere Variante mit Vollkorn-Baguette – eine absolute Seltenheit in Vietnam. Auch das kleine bao mit Pilzfüllung ist köstlich und hervorragend gewürzt! Das Ambiente des kleinen Ladens ist sauber, ruhig, gut klimatisiert und ich kann beim Warten an einem der Stehtische mein Smartphone laden.
Für mich sind es aber vor allem die netten Interaktionen mit der Verkäuferin und den Einheimischen, die meinen Besuch hier unvergesslich machen. Ich kippe fast aus den Sandalen, als mich eine adrette ältere Lady auf einmal auf Französisch anspricht! Sie denkt wohl ich bin Französin. Und obwohl ich ihr beteuere, dass ich Deutsche bin, unterhalten wir uns auf Französisch weiter. Wie durch ein Wunder kommen meine Sprachkenntnisse aus den Tiefen meines Bewusstseins wieder ans Tageslicht. Ich finde tatsächlich all die richtigen Worte, um mich fließend mit ihr zu unterhalten!
So fragt sie mich, wie lange ich in Vietnam sei und erzählt mir, sie kaufe vegane Backwaren, da das gut für die Gesundheit und die Umwelt sei. Einfach der Wahnsinn! Wer dort einkaufen gehen kann, hat die entsprechenden Mittel. Die Dame ist nicht nur liquide sondern auch gebildet und früher vermutlich viel gereist, da sie ohne jegliche Scham das Gespräch mit mir als Ausländerin gesucht hat. Sie verabschiedet sich mit einem „Bis bald!“ und die Verkäuferin und ich bleiben mit einem riesengroßen Lächeln und einem Gefühl der Verbundenheit in dem kleinen Laden zurück.
Shan Dimsum
Bei einem Besuch von HCMC’s Chinatown ist ein Dimsum-Lunch Pflicht! Und dieses Restaurant wird seinen hervorragenden Google-Bewertungen gerecht. Ich wähle Wantan-Suppe, fried shrimp dumplings und salted eggyolk buns und fühle mich nach Malaysia zurückversetzt, wo ich 2012 zum ersten Mal das Konzept von Dimsum kennenlernen durfte.
Tâm Hiếu Garden
Ich dachte schon ich muss HCMC verlassen, ohne die lokale Spezialität broken rice (chom tam) zu testen. Normalerweise wird das Gericht aus zerbrochenen Reiskörnern mit viel Schweinefleisch serviert, so dass ich als Pescetarierin schon am Verzweifeln war. In diesem Restaurant werden alle Fleisch-Komponenten mit Tofu, Pilzen und Gemüse ersetzt, und oh mein Gott, es war so lecker.
Ich bin so dankbar, dass ich diesen Ort gefunden habe und wäre mit mehr Zeit wiedergekommen. Die Inhaber-Familie ist super sympathisch und ich bin zur Zeit meines Besuchs der einzige Gast. Mir wird die volle Aufmerksamkeit aller zuteil. Zum broken rice habe ich noch einen köstlichen Bananenblütensalat bestellt, der hier mit leckeren Vollkorn-Sesam-Crackern serviert wird. Dazu gibt es braunen Reistee ohne Zucker.
Wählt am besten einen Platz im oberen Stockwerk, dort gibt es ein inspirierendes Wandgemälde und ihr seid für euch. Wie viele vegetarische oder vegane Lokale habe ich in diesem Restaurant direkt das Gefühl, dass ich die Werte der Inhaber:innen teile und unterstützen möchte.
Wellness im NDC Homestay & Spa
An meinem letzten Tag in HCMC schenke ich mir selbst ein dreistündiges Treatment. Wenn ihr in HCMC Wellness machen wollt, ist das NDC Spa die beste Adresse. Ich habe es über Google gefunden und zu den vielen 5-Sterne-Bewertungen meine eigene hinzugefügt. Die lieben, professionellen Frauen dort haben es voll und ganz verdient.
Ich habe von Anfang bis Ende eine tolle Erfahrung. Das schließt eine wunderbar entspannende deep tissue massage und eine tiefenreinigende Gesichtsbehandlung ein. Währenddessen bin ich so entspannt, dass ich irgendwo zwischen Wach- und Traumzustand hin und her pendele. Auch die anschließende Mani- und Pediküre ist exzellent. Meine Nägel sahen noch nie so gut aus. Die Behandlung ist super gründlich und ich kann sehen, dass die Frauen sich so viel Mühe gegeben haben, als wären es ihre eigenen Nägel.
Es wird nicht wirklich Englisch gesprochen, aber die Kommunikation meiner Wünsche via Google Translate ist mühelos und amüsant. Das gesamte Equipment ist tadellos sauber und von hoher Qualität. Das Interieur ist so stilvoll, dass ich mir zur Inspiration für meine eigene Wohnung die Deko abfotografiere. Im Gegenzug stelle ich mich gern für ein spontanes Fotoshooting zu Werbezwecken zur Verfügung. Eine echte Oase des Wohlbefindens im verrückten Chaos von HCMC!
Ein endloses Kaleidoskop
Die vielen Facetten von HCMC entfalten sich Stück für Stück vor meinen Augen. Jeder Tag meines Aufenthalts fördert eine neue Schicht zutage und ich bin mir sicher, dass ich bis zu meiner Abreise nur an der Oberfläche gekratzt habe. Von den quirlig belebten Straßen, die niemals ruhen, die berührenden Träume und Ambitionen junger Menschen, bis hin zu stillen Tempeln und Museen voll prägender Geschichte – HCMC beeindruckt mich nachhaltig. Ich nehme nicht nur unvergessliche Erinnerungen, sondern auch ein Stück Energie aus Vietnams südlicher Metropole mit nach Hause.
Mein letzter Tag in HCMC bedeutet für mich auch das Ende meines vierwöchigen Vietnam Abenteuers. Mein Kopf, Herz und Bauch sind voll. Vietnam war für mich eine dieser lebensverändernden Reisen. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis ich all die Eindrücke und das Gelernte verarbeitet habe. Und ich bin froh, dass dieser Blog als kreatives Ventil mir dabei hilft, all das auch an euch weiter zu vermitteln.
Seid ihr bereit für euer eigenes Vietnam-Abenteuer?

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